Unter deinem Stern
zu viel?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Denn es gibt die unterschiedlichsten Erklärungen für Halluzinationen. Es könnte sich auch um ein Augenleiden handeln.«
»Dr. Lynton, ich versichere Ihnen, es ist nichts dergleichen. Das war real – ich meine, es ist wirklich passiert.«
»Haben Sie es berührt?«
Claudie schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nicht getraut. Ich war kurz versucht, es zu tun, aber dann habe ich befürchtet, es würde den Zauber zerstören.«
»Wie meinen Sie das?«
Claudie sog die Wangen ein. Wahrscheinlich klang sie vollkommen verrückt. »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Ich dachte wohl, wenn ich versuchte, es zu berühren, dann wäre das so ähnlich, wie wenn man mitten in einem wunderbaren Video auf die Stopptaste drückt.«
Er runzelte die Stirn, als wunderte er sich über ihre Wortwahl. Sie hatte die Angewohnheit, alles mit Filmen zu vergleichen, und Dr. Lynton war offenbar nicht auf derselben Wellenlänge.
»Aber Sie haben nicht Luke gesehen?«, fragte er.
»O nein. Ich bin mir fast sicher, dass es eine kleine Frau war.«
»Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Hinterbliebene sich einbilden, einen lieben Verstorbenen zu sehen – in welcher Form auch immer. Die Menschen finden Trost in den seltsamsten Dingen.«
»Sie müssen mich für verrückt halten.«
»Sie sind nicht verrückt, Claudie, und Sie müssen aufhören, sich selbst für verrückt zu halten.«
»Aber ist das denn normal?«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Wer kann schon genau sagen, was normal ist?«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Schließlich erhob Dr. Lynton sich aus seinem Sessel. Claudie wusste sofort, was jetzt kommen würde.
»Ich habe hier etwas zu dem Thema, das ich Ihnen sehr empfehlen kann –« Er griff nach einem Buch auf einem der obersten Regalbretter in einer der Nischen, und sein roter Pullover gab einen schmalen Streifen seines breiten Rückens frei.
»O nein – bitte! Nicht schon wieder ein Buch, Dr. Lynton!«
Er drehte sich um und schaute sie leicht enttäuscht an.
»Könnte ich vielleicht stattdessen einen Ableger von Ihrem Lavendel haben?«
Einen Augenblick lang wirkte er verwirrt. »Sie interessieren sich für Aromatherapie?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber es ist doch sicher einen Versuch wert.«
Claudie ließ sich in den nach Lavendel duftenden Schaum sinken. Beim Einkaufsbummel in York war die Begeisterung für Lavendel ein bisschen mit ihr durchgegangen, und sie hatte Kerzen, Schaumbad, Seife und ein kleines Fläschchen Duftöl erstanden. Den Ableger von Dr. Lynton hatte sie bereits eingepflanzt, war jedoch fest entschlossen, sich sobald wie möglich einen kräftigen Lavendelbusch für ihre Küchenfensterbank zu besorgen.
Sie war müde. Wenn sie aus York zurückkam, fühlte sie sich jedes Mal ausgelaugt, aber Lavendel hatte angeblich neben verschiedenen anderen wohltuenden Eigenschaften auch eine belebende Wirkung. Sie schloss die Augen und erinnerte sich daran, wie Luke immer durch die geschlossene Badezimmertür gerufen hatte, wenn sie länger als eine halbe Stunde in der Wanne geblieben war.
»Ich möchte nicht, dass meine Frau ertrinkt!«, hatte er dann mit einem schelmischen Grinsen gesagt und den Kopf zur Tür hereingestreckt. Sie hatte tatsächlich schon daran gedacht. Es wäre so leicht, einfach durch den warmen Schaum ins Nichts hinüberzugleiten.
Plötzlich riss sie die Augen auf, und auf ihrem ganzen Körper breitete sich eine Gänsehaut aus. Es war dasselbe seltsame Gefühl, das sie im Büro gehabt hatte: als würde sie jemand beobachten. Sie setzte sich auf und schaute sich in dem kleinen Bad um, als erwartete sie, jemanden zu erblicken.
»Wer ist da?«, flüsterte sie. Aber es war niemand da. Natürlich nicht.
Seufzend ließ sie sich wieder ins warme Wasser sinken, bis ihre Schultern mit Schaum bedeckt waren. Sie musste sich unbedingt beruhigen und entspannen. Vielleicht hatte sie zu wenig von dem ätherischen Öl ins Badewasser gegeben.
Sie wollte gerade nach dem Fläschchen greifen, als sie sie entdeckte, und diesmal war kein Irrtum möglich.
Dort, zwischen der Shampooflasche und dem Badeschwamm, tanzte eine winzige, hell glitzernde Frau.
3
Es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn Simon Hart einfach nur einen schlechten Tag gehabt hätte. Das Problem war, dass er ein schlechtes Jahr hatte. Bequemerweise hätte er Felicity Maddox für alles verantwortlich machen können, was in seinem Leben schief lief, und das wäre noch
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