Unter dem Banner von Dorsai
die Halle meines Hotels in Blauvain betrat. In meinen Nerven prickelte es, meine Augen und mein Mund waren trocken, weil ich seit vierundzwanzig Stunden kein Auge mehr zugetan hatte. Der Tag, dem ich entgegensah, sollte ein großer Tag werden, so daß ich kaum Aussicht hatte, während der nächsten vierundzwanzig Stunden ein Nickerchen machen zu können. Aber zwei bis drei schlaflose Tage und Nächte gehören zum Berufsrisiko eines Journalisten. Man muß stets auf dem Posten sein, Augen und Ohren offenhalten und einfach ausharren, bis das erwartete Ereignis eintrifft.
Ich war zwar gespannt wie ein Bogen, doch sollte die Nachricht eintreffen, würde ich schon Mittel und Wege finden, um mich durchzuschlagen. Dann war es endlich soweit, und die Nachricht, die ich in der Rezeption vorfand, vertrieb mir gründlich die Sehnsucht nach Schlaf und einigen Stunden der Entspannung.
Es war ein Brief von Eileen. Ich trat beiseite und riß den Umschlag auf. Sie schrieb:
Liebster Tam
Dein Brief, in dem du mir mitteilst, daß du Dave aus dem Kampfgebiet heraushalten und ihn als deinen Assistenten anstellen willst, ist soeben eingetroffen. Ich bin so froh, daß ich es dir gar nicht sagen kann. Ich habe noch nie gehört, daß einer wie du von der Erde – gar ein Kandidat für die Gilde – so etwas für uns getan hätte.
Wie kann ich dir nur danken? Und wie könntest du mir verzeihen, daß ich dir fünf Jahre lang nicht geschrieben und mich nicht um dich gekümmert habe? Das sieht einer Schwester nicht ähnlich. Aber all dies geschah nur, weil ich wußte, wie nutzlos und wie hilflos ich war. Seit unserer Kindheit hatte ich stets den Eindruck, daß du dich meinetwegen insgeheim geschämt und mich nie ganz ernst genommen hast.
Als du mir seinerzeit in der Bibliothek klargemacht hast, daß eine Heirat mit Jamethon Black ein Fehler sein würde, wußte ich bereits, daß du nichts weiter als die Wahrheit über mich gesagt hast – dennoch mußte ich dich dafür hassen. Damals kam es mir so vor, als wärst du wirklich stolz darauf, verhindert zu haben, daß ich mit Jamie auf und davon ging.
Nun aber, da du versuchst, Dave zu retten und zu schützen, weiß % ich erst, wie falsch ich dich eingeschätzt habe und wie leid es mir tut, daß ich so schlecht von dir gedacht habe. Du warst der einzige, der mir nach dem Tod unserer Eltern geblieben war, und ich habe dich geliebt, Tam. Doch mir war stets, als würdest du mich nicht mögen, ebensowenig wie Onkel Mathias.
Jetzt ist aber alles anders geworden, seitdem ich Dave kennenlernte und er mich heiratete. Irgendwann einmal mußt du nach Alban auf Cassida kommen und unsere Wohnung sehen. Wir waren froh, daß wir so eine große Wohnung bekommen haben. Es ist mein erstes richtiges Zuhause, und ich glaube, du wirst überrascht sein, wie schön wir es haben. Dave wird dir alles erzählen, wenn du ihn fragst – glaubst du nicht auch, daß es für jemanden wie mich wundervoll ist, geliebt und geheiratet zu werden? Er ist so nett und so anhänglich. Weißt du, er wollte unbedingt, daß ich dich über unsere Heirat benachrichtige, obwohl er wußte, wie ich damals dachte. Aber ich wollte es einfach nicht. Er hat immer recht, während ich meistens unrecht habe – wie du nur zu gut weißt, Tam.
Hab nochmals vielen Dank für alles, was du für Dave tust, alle meine guten Wünsche begleiten euch. Sag Dave, ich werde ihm auch schreiben, aber ich glaube, daß mein Feldpostbrief ihn nicht so schnell erreichen wird wie dieser Brief, den ich dir schreibe.
In Liebe
Eileen
Ich steckte den Brief wieder in den Umschlag, verstaute ihn in meiner Tasche und ging in mein Zimmer hinauf. Zunächst dachte ich daran, ihm den Brief zu zeigen, doch im Aufzug überfiel mich plötzlich eine Art Verlegenheit bei dem Gedanken an ihren überschwenglichen Dank und an die Art und Weise, wie sie sich selbst beschuldigte, nicht gerade die Beste aller Schwestern zu sein. Auch ich war nicht stets der Beste aller Brüder gewesen. Und was ich für Dave tun wollte, mochte ihr großartig erscheinen, war es in Wirklichkeit aber nicht. Es war kaum mehr als das, was ich für jeden Fremden getan hätte, ein Gefallen, der auf Gegenseitigkeit beruhte.
Auf irgendeine Weise hatte sie mich beschämt, dennoch tat es mir wohl, daß sie es mir gesagt hatte. Vielleicht konnten wir in Zukunft wie normale Menschen miteinander verkehren. Bei den Gefühlen, die sie und Dave füreinander hegten, durfte ich in absehbarer Zeit mit Neffen
Weitere Kostenlose Bücher