Unter dem Banner von Dorsai
das, wonach er gesucht hat, in greifbarer Nähe liegt. Mir war mein Gürtel eingefallen.
An diesem Gürtel aber war, wie am Koppel eines jeden Soldaten, ein kleiner Feldverbandkasten befestigt. Ich mußte trotz meiner Schmerzen fast lachen, als ich jetzt nach dem Kasten griff. Ich klappte das Kästchen auf und holte zwei achteckige Tabletten heraus. Unter den Bäumen wurde es allmählich dunkel, so daß ich die rote Farbe der Pillen nicht erkennen konnte, doch ich konnte ihre Form ertasten, und das genügte. Die achteckige Form war zu diesem Zweck gewählt worden.
Ich zerkaute die Tablette und schluckte sie ohne Flüssigkeit herunter. Mir war, als würde ich aus der Ferne Daves Stimme erkennen, der sich immer noch ziemlich laut gebärdete. Doch die Pille begann sofort ihre betäubende, beruhigende Wirkung zu entfalten, die sich über meinen ganzen Körper ausbreitete. Der Schmerz war bereits verschwunden, ich aber fühlte mich intakt und wie neu geboren – und nichts kümmerte mich mehr außer dem Frieden und dem Wohlgefühl, das meinen Körper durchströmte.
Wieder hörte ich David rufen. Diesmal verstand ich ihn, doch das, was er sagte, störte mich nicht. Er sagte, er habe mir bereits die Schmerztabletten aus seinem Vorrat gegeben, als ich vorhin zweimal das Bewußtsein verloren hatte. Ich hätte also eine Überdosis geschluckt und würde dringend Hilfe brauchen. Ebenfalls, wie aus der Ferne, wuchs die Dunkelheit um mich herum, und ich vernahm ein Dröhnen wie Donnergrollen über mir, und dann, ebenfalls wie aus weiter Ferne, drang eine feine, angenehme Musik an mein Ohr, wie das Trommeln von Millionen Regentropfen, die auf das Laubdach über mir klatschen.
Dann entschwebte ich in ein angenehmes Nichts.
Als ich wieder zu mir kam, achtete ich sehr wenig auf das, was um mich herum vorging, da mir die Nachwirkungen der Überdosis zu schaffen machten. Mein Knie schmerzte nicht mehr, da ich es nicht bewegt hatte, doch es war geschwollen und steif wie eine stählerne Stange. Sobald ich aber das Knie bewegte, schoß der Schmerz in mir hoch und erschütterte mich wie eine Explosion.
Ich erbrach mich und begann mich danach etwas wohler fühlen. Und allmählich wurde ich mir auch dessen bewußt, was um mich herum vorging. Ich war naß bis auf die Haut, weil der Regen, der sich zunächst im Laub der Bäume verfangen hatte, nun bis zu uns durchgedrungen war. Etwas weiter unter den Bäumen standen die Gefangenen und ihre Wächter in einer lockeren Gruppe, unter ihnen ein Neuankömmling, der die schwarze Uniform der Quäker trug. Es war ein Gruppenführer in mittleren Jahren, schlank und mit zerfurchtem Gesicht. Er hatte den Mann, der Greten hieß, beiseite gezogen, um mit ihm zu sprechen.
Über uns, in jenen kleinen Lücken zwischen den Zweigen, die der Riesenbaum beim Umstürzen verschont hatte, als er diese kleine Lichtung bildete, hatte sich der Himmel nach dem Gewitter aufgeklärt. Aber der Himmel war immer noch bewölkt, und die Wolken glühten im Farbenspiel der sinkenden Sonne. Vor meinen Augen, die immer noch von der Droge getrübt waren, schien das Abendrot herabzusteigen und umrandete die Umrisse der durchnäßten, graugekleideten Gefangenen und glitzerte auf den durchweichten schwarzen Uniformen der Quäker.
Rot und Schwarz, Schwarz und Rot – alles Gestalten, schemenhafte Gestalten wie in einem Kirchenfenster, über dem sich das Laubdach der Bäume wie ein Dom wölbte. Ich aber saß da, fröstelnd in meinen durchweichten Kleidern, und starrte auf die beiden Männer, die sich lebhaft unterhielten. Und allmählich drangen ihre Worte an mein Ohr, obwohl sie leise sprachen, um von den Gefangenen nicht gehört zu werden.
„Du bist ein Kindskopf!“ schnarrte der Gruppenführer. In seiner Erregung hob er den Kopf, und das rote Himmelslicht der Abenddämmerung beleuchtete sein Gesicht. Zum erstenmal konnte ich sein Gesicht deutlich erkennen, und seine Züge zeigten den gleichen herben und abstoßenden Fanatismus, den ich seinerzeit bei jenem Mann im Hauptquartier der Quäker gesehen hatte, der damals den Paß für Dave nicht unterzeichnen lassen wollte.
„Du bist wirklich ein Kindskopf!“ wiederholte er. „Du bist ein Grünschnabel! Was weißt du über den Kampf, den wir Generation für Generation auszutragen hatten, um auf unserer herben und steinigen Welt Fuß zu fassen? Was weißt du über Hunger und Not, wenn selbst die Frauen und die kleinen Kinder nichts zu beißen haben, wenn all diese Kinder
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