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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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zu werden. Außerdem hatte ich chronische Nebenhöhlenprobleme.« Sie zögert, korrigiert sich: »Nein, stimmt nicht, ich war in London, und es waren die Sixties. Was meinst du, was da los war. Von wegen Nebenhöhlenprobleme, ich war ständig verkatert.«
    »Warst du ein Hippie?«, frage ich.
    »Hippie?«, wiederholt Mum kühl. »Sei nicht albern, Bobo. Nein, es war die Zeit des Kalten Kriegs; jede Menge herrliche Affären und Machenschaften – der Profumo-Skandal, Mandy Rice-Davies, Christine Keeler. Alle rechneten fest damit, dass wir jeden Moment von den Russen in die Luft gesprengt werden würden; das war alles wahnsinnig aufregend.« Mum schüttelt den Kopf. »Und um nichts in der Welt wollte ich während so einer verfluchten Stenographiestunde das Zeitliche segnen, da kannst du Gift drauf nehmen.«
    Catherine Angleton bot meiner Mutter an, einen Ball für sie zu geben. »Damit ich mal hinter der Schreibmaschine hervorkommen und andere Leute kennenlernen konnte. Aber ich als Debütantin?«, sagt Mum. »Wozu? Die Sorte Engländer, die auf solche Bälle gingen, rümpfte ohnehin die Nase über eine wie mich, die aus den Kolonien kam.« Sie seufzt. »Das waren alles schreckliche Snobs, die nur auf Fehler bei der Aussprache lauerten; beim geringsten Fauxpas hätten die sich wie die Geier auf mich gestürzt.«
    Jahre später versuchte Mum, mir und Vanessa den korrekten Akzent einzupauken. Stundenlang fütterte sie unsere Ohren mit Radioprogrammen der BBC , in der Hoffnung, die britische Standardaussprache möge auf uns abfärben. Außerdem wollte sie unsere Stimmen mit aller Gewalt um ein bis zwei Oktaven senken – mit unserem schrillen rhodesischen Akzent klangen wir wie verschnupfte Streifenhörnchen. Tante Glug fand unsere Stimmchen süß, für Mum hörten sie sich haarsträubend an.
    Mein gegenwärtiger Akzent klingt für Mums Ohren ähnlich haarsträubend – ein hybrides südafrikanisch-englisch-amerikanisches Patois, als die Sprache Elizabeths der Zweiten kaum noch zu erkennen. Bei meiner Schwester ist es nicht viel besser. Sie kehrte aus dem London ihrer späten Teenager- und frühen Twenjahre mit einer nach Mums Auffassung »grauenhaften Cockneyquäke« als idealer Ergänzung zu ihrer kolonialen Schnellfeuersprache zurück. »Bei Vanessa weiß ich nie, ob sie mich absichtlich oder nur aus Gedankenlosigkeit auf die Palme bringt«, sagt Mum.
    Als ich Vanessa frage, welches von beidem es ist, zieht sie an ihrer Zigarette und sagt: »Beides.«
    Zusätzlich zum Bombardement mit britischer Standardaussprache wurden Vanessa und ich mit einer verwirrenden Liste von Verboten traktiert, was Sprache und Vokabular anging. Es war ordinär, über Geld zu reden, was uns nichts ausmachte, weil wir ohnehin über keine erwähnenswerten Beträge verfügten. (Irgendwie wurde Geld auch leichtfertig verplempert – als Mum 1993 nach dem Tod ihrer Mutter schließlich zu einem kleinen Erbe kam, gab sie es für Bücher, Pferde, Royal-Ascot-Hüte und einen ausgiebigen Aufenthalt im Londoner West End aus, wo sie sich jede Aufführung anschaute.) Ebenso ordinär war es, über seine Gesundheit zu reden. »Kein Mensch will wirklich wissen, wie es einem geht«, sagte Mum, »also erzählt allen, es geht euch blendend.« Wir mussten Mundtuch statt Serviette sagen, Klosett statt Toilette , Kanapee statt Sofa , Veranda statt Terrasse und was? statt wie bitte? Wir bekamen eingeschärft, dass es unhöflich war, jemanden zu fragen, ob er » noch etwas trinken « wolle. Wir hatten ihn zu fragen, ob er » einen « Drink oder » ein Gläschen « wünsche.
    In der Schule gaben die Hausmütter uns Magnesiamilch für den Darm, auch wenn wir ihnen tausendmal versicherten, wie »blendend« es uns ging. Die Lehrerinnen fanden » was? « und » Klosett « bäurisch. Sie korrigierten Vanessa und mich, brachten uns bei, » wie bitte? « und » Toilette « zu sagen. Inzwischen waren die Hälfte der Schüler an unserer Schule der Meinung, Vornehmsein hieße, sich geziert zu geben und beim Teetrinken den kleinen Finger abzuspreizen. Die andere Hälfte pfiff auf Manieren und kultivierte eine bewusste Unvornehmheit. Ich tat mein Bestes, mich anzupassen.
    »Gut, das musst du selber wissen«, sagte Mum. »Aber gib bitte nicht mir die Schuld, wenn du bei der Queen zum Tee eingeladen wirst und nicht weißt, wie du dich zu benehmen hast.«
    Im Dezember 1963 gelangte man zu der Auffassung, dass an Mrs. Hoster’s Kolleg für junge Damen alles für Mum getan worden

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