Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
war, was getan werden konnte. »Nach zwei langen Jahren konnte ich weder Schreibmaschine noch Steno.« Es lodert in ihren Augen. »Sie wollten mich zähmen und sind gescheitert.« Eine Woche später verließ Mum London und landete im perfekten äquatorialen Licht Nairobis. »Ich hatte mir die Haare blond färben und auf Schulterlänge schneiden lassen, sehr mondän«, sagt sie. »Es war die Zeit, als man sich für den Flug richtig aufdonnerte, und ich wollte gut aussehen für Kenia.« Sie trug marineblaue, vorne spitz zulaufende Stöckelschuhe und ein blassblaues Leinenkostüm. »Von der Stange, aber sehr schick – kurz genug, um aufzufallen, ohne gleich die Pferde scheu zu machen.« Mum lächelt. »Aber was ich bestimmt nicht vergessen werde, war der erste Atemzug kenianischer Luft auf der Gangway – so frisch und würzig. Und ein absolut perfektes Licht, völlig unverschmutzt und klar.« Ein vielsagender Blick. »Viele Leute haben versucht, darüber zu schreiben, weißt du, aber die richtigen Worte hat kaum jemand gefunden. Man muss einfach dort sein. Es mit eigenen Augen sehen.«
Mum erwähnt nicht, dass Kenia ein unabhängiges Land war, als sie aus England zurückkehrte. Im Mai 1963 gewann die Kenya African National Union die ersten freien und allgemeinen Wahlen in dem Land. Als die Ergebnisse bekannt wurden, liefen Tausende von Kenianern durch die regendurchweichten Straßen Nairobis und riefen: »Uhuru! Uhuru!« Jomo Kenyatta, der dreiundsiebzigjährige ehemalige Vorsitzende der Kikuyu Central Association, rief in einer Rede die Nation dazu auf, Stammes- und Rassenzwistigkeiten zugunsten der nationalen Einheit zu begraben. »Schauen wir nicht zurück in die Vergangenheit – auf rassische Verbitterung, die Verweigerung fundamentaler Rechte, die Unterdrückung der Kultur«, sagte er. »Lasst Versöhnung herrschen.« Am 12. Dezember 1964 wurde die Republik Kenia ausgerufen, und Mzee Jomo Kenyatta wurde Kenias erster Präsident.
»Tja, nun«, sagt Mum.
TEIL ZWEI
O wye en droewe land, alleen
Onder die groot suidesterre …
Jy ken die pyn en eensaam lye
Van onbewusste enkelinge,
die verre sterwe op die veld,
die klein begrafenis …
O weites, trauriges Land, allein
Unter dem südlichen Sternenzelt …
Du kennst den Schmerz und das einsame Leiden
Unwissender Menschen,
Das einsame Sterben im Veld,
Die kleinen Begräbnisse …
N.P. van Wyk Louw, Die dieper reg. ’n
Spel van die oordeel oor ’n volk
Tim Fuller ohne feste Bleibe
Dad in Paris, 1958
Dad ist ein Verfechter förmlicher Zurückhaltung: »Wenn du über jemanden nichts Gutes zu sagen hast, sage lieber gar nichts.« Also schweigt er sich über seine Familie fast vollständig aus. Fairerweise muss man sagen, dass seine Familie ihrerseits äußerste Zurückhaltung geübt und im Grunde nur durch nahezu vollständige Abwesenheit in unserem Leben geglänzt hat. Andrerseits kann man den Verwandten meines Vaters nicht einmal verdenken, dass sie an einem Besuch bei uns nicht sonderlich interessiert waren. Schließlich muss man ihnen unsere chronisch unzureichenden sanitären Einrichtungen, die Landminen auf Wegen und Straßen, die Schlangen in der Speisekammer und was nicht noch alles in Rechnung stellen.
Hin und wieder kam aus England ein gnadenlos munterer Brief von Onkel Toe, Dads jüngerem Bruder, und seine Frau, Tante Helen, schickte zu Weihnachten manchmal ein Paket mit heißbegehrter Ware (Make-up für Vanessa und mich, irisches Leinen für Mum). Aber diese sporadische Kommunikation schien die Kluft zwischen den Fullers, die in Südafrika vor sich hinbrutzelten (uns), und den Fullers, die wir uns schweinchenrosa in den gemäßigteren Breiten Yorkshires oder Londons oder Oxfords vorstellten (ihnen), nur zu betonen. Ein- oder zweimal waren wir, weil Mum keine Ruhe gegeben hatte, sogar von der Farm im Burma Valley aus zwei Stunden nach Westen gefahren, um die einzige Verwandte meines Vaters zu besuchen, die auch in Afrika wohnte. »Cousine Zoo ist Blutsverwandtschaft«, erklärte Mum mit Nachdruck und zeigte uns die geballte Faust. »Und Blut ist Blut.«
Zoo war schrecklich englisch und von gewissenhafter, aber auch pflichtschuldiger Gastfreundschaft. Mich und Vanessa behandelte sie wie Wellensittiche auf Besuch, die gefüttert und für die Nacht in ein dunkles Eck gesperrt werden mussten. Und auch wenn Zoo Dad ehrlich gern zu haben schien, sorgte sie sich vor allem um seine vertanen Möglichkeiten. »Euer Vater sah wahnsinnig gut aus,
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