Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
viele ihrer Opfer, schnitten ihnen die Eingeweide heraus und zerstückelten sie bis zur Unkenntlichkeit. Anfang 1952 trieben in den Flussläufen um Nairobi die verstümmelten und verbrannten und mit Draht gefesselten Leichen mehrerer Kikuyu-Polizisten, die in den Diensten der Briten gestanden hatten. Kurz darauf fanden Siedler in der Nähe des Mount Kenya ihr Vieh ausgenommen auf der Weide, die Sehnen der Beine durchtrennt.
»Nein«, sagt Mum, »mit den Kikuyu war nicht gut Kirschen essen. Sie waren unheimlich und haben sich die seltsamsten Dinge einfallen lassen. Wir hatten alle Angst vor ihnen, sogar hier oben auf dem Plateau. Wir haben das Personal vor Dunkelheit nach Hause geschickt, das Haus nachts verschlossen und Hühnerdraht vor die Fenster genagelt. Mein Vater nahm seine Dienstpistole überall mit hin, und Mutter hatte eine Beretta unter dem Kopfkissen liegen.«
Aber weder den Huntingfords noch irgendeinem ihrer Freunde stieß etwas zu. Das Leben ging in all seinem fadenscheinigen cinematographischen Glanz weiter. Bis den Huntingfords an einem Tag Mitte Oktober 1952 von einem von Babs Owens’ Stallburschen eine Nachricht an die Haustür gebracht wurde. Der Bursche war atemlos vor Angst. Auf der Rennbahn war ein Kikuyu-Rebell aufgetaucht. »Weiß der Teufel, warum Babs meinen Vater zu Hilfe gerufen hat«, sagt Mum. »Man hätte ihr jederzeit zugetraut, so einen Kerl eigenhändig zu versohlen oder ihm ein Ohr abzubeißen oder so etwas, aber nein, sie ließ meinen Vater rufen, und er, Gentleman, der er war, schnappte sich seine Pistole und ging zu ihr rüber.«
Im Schutz der Ruinen des ehemaligen Internierungslagers für Italiener schlich sich mein Großvater vorsichtig an die Rennbahn heran. Im ungefilterten äquatorialen Licht warfen die bröckelnden Gebäude unheimliche blaue Schatten. »Das alte Gefängnis, verlassen und düster«, sagt Mum. Plötzlich sah mein Großvater den vermeintlichen Kikuyu-Rebellen kurz ins Licht hinauslaufen und gleich wieder in das Dunkel eines der verfallenden Häuser eintauchen. »Mein Vater trat näher an das Gebäude heran und feuerte einen Warnschuss in eins der Fenster. Natürlich hatte er nicht vor, den Mann zu erschießen, aber die Kugel prallte von einer der Wände ab und traf ihn, ohne ihn zu töten. Doch er war verletzt, und damit war es ein Fall für die Polizei. Mein Vater musste vor Gericht erscheinen.«
Mum schüttelt den Kopf. »Ein paar Tage später hätte mein Vater den Kikuyu ruhig abknallen können, weil die Briten inzwischen den Notstand ausgerufen hatten. Aber an diesem Nachmittag war es noch nicht in Ordnung.« Es kam zu einer Verhandlung, und mein Großvater wurde zu einem Tag Gefängnis verurteilt, ein Richterspruch, der helle Empörung bei den Leuten von Eldoret auslöste. »Mein Dad war als Flag-Marshal für die Rennen am Nachmittag vorgesehen«, erklärt Mum. »Er konnte den Tag unmöglich im Gefängnis verbringen. Keiner außer ihm konnte beim Start die Flagge schwenken.«
Nachdem der Notstand ausgerufen war, strömten britische Soldaten in das Land, und weiße Siedler schlossen sich ihnen an. Bis Ende November 1952 waren achttausend Kikuyu festgenommen worden. Was die Spannungen nicht minderte, im Gegenteil – die Angriffe auf britische Siedler eskalierten. Vor Januar 1953 war es nur zu vereinzelten Angriffen gekommen, und die Ziele waren ausschließlich Männer gewesen, bis am 24. des Monats die gefolterten und zerstückelten Leichen einer jungen britischen Siedlerfamilie auf ihrer Farm gefunden wurden – Roger Rucks (37 Jahre alt), seine schwangere Frau Esmee (32 Jahre alt) und ihr sechsjähriger Sohn Michael. Der Kikuyu-Koch der Familie (bezeichnenderweise wurden sein Name und sein Alter in keinem der Berichte erwähnt) war ebenfalls totgeschlagen und zerstückelt worden.
Die Siedler entließen ihr Kikuyu-Personal, und die Festnahmen von Kikuyus, die zu Recht oder Unrecht als Rebellen verdächtigt wurden, mehrten sich. Bis Ende 1954 hielt das britische Militär an die siebenundsiebzigtausend Männer, Frauen und Kinder der Kikuyu in überfüllten, unhygienischen Konzentrationslagern fest. Sie zwangen die Häftlinge zur Arbeit, und wer sich weigerte, wurde geschlagen, nicht selten totgeprügelt. Ein Gefangener, John Maina Kahihu, beschreibt die Atmosphäre in diesen Lagern sehr anschaulich: »Wir weigerten uns, diese Arbeiten zu tun. Wir kämpften für unsere Freiheit. Wir waren keine Sklaven … Im Lager gab es zweihundert Bewacher.
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