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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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Offiziersbaracke aus dem Zweiten Weltkrieg unter perfektem äquatorialem Licht auf der sturmumfauchten goldenen Hochebene Uasin Gishu stattgefunden hatte, spielte sich der Großteil von Dads Kindheit in Hawkley Place ab, einem kalten großen Haus in Liss, etwa achtzig Kilometer südlich von London. »Ich habe mein ganzes Leben draußen verbracht, beim Heuen zugesehen oder bin hinter dem Kuhhirten von nebenan hergetappt«, sagt Dad. Er klappt sein Taschenmesser auf, kratzt damit seine Pfeife aus und prüft geistesabwesend die Schärfe der Klinge am Daumen. »Und für mich gab es nichts Schöneres.«
    Während der ersten Jahre ihrer Ehe waren Dads Eltern in China stationiert gewesen. »Es kann sein, dass sie dort ganz glücklich waren«, sagt Dad ungewiss, ohne ein Indiz oder einen Beweis dafür anführen zu können, weil alle Liebe oder Zuneigung, die es zwischen seinen Eltern gegeben haben mochte, längst schon verbrannt war, als er am 9. März 1940 die Bühne betrat.
    »China«, sinniert Mum. »Wie wunderbar! Wo in China?«, fragt sie, aber ehe Dad antworten kann, ist sie schon bei Doris Day. »Shanghai in den Dreißigern«, sagt sie. »Was meint ihr?« Und dann singt sie vom Aufbruch nach Shanghai und einer Reisallergie. »Tra la la la la laaaaa!«, lässt sie das Lied ausklingen, als die Worte ihr ausgegangen sind, was bald der Fall ist.
    Es ist der zweite Tag unserer südafrikanischen Ferien. Mum, Dad und ich sitzen im Garten eines ruhigen Gästehauses in den Cederberg Mountains beim Tee. Im Hintergrund gurren Turteltauben den Tag traurig zur Ruhe – »Ruckedi-kuu, ruckedi-kuu« –, und vor uns auf dem Feld balzen ein paar Perlhühner. Oben am Himmel schwebt eine Formation weißer Reiher dem Schlafplatz entgegen. Die Felsen hinter uns sind von der untergehenden Sonne in ein rosagoldenes Licht getaucht. Aber richtig einzigartig wird dieser Friede erst durch die Tatsache, dass Dad ruhig dasitzt und redet.
    »Das meiste Reden ist nichts als Lärmbelästigung«, sagt er. Zu Hause in Sambia hört man ihn lange vor Sonnenaufgang zum Teemachen in die Küche trampeln, murmelnd die Hunde begrüßen und seine Pfeife anzünden. Normalerweise hat er das Haus längst verlassen, läuft die Bewässerungsrohre ab und überprüft den Pegel des Flusses, ehe wir anderen uns die erste Tasse Tee gemacht haben.
    Zur Mittagszeit – wenn die Farmbediensteten Pause machen und das Land selber nur noch Hitze zu atmen scheint – kommt Dad aus der sengenden Sonne zurück, setzt sich unter den Baum des Vergessens, liest sein Farmer’s Weekly oder nimmt sich das Kreuzworträtsel im London Telegraph von vier Wochen vor, aber solche Tätigkeiten sind längst nicht so ruhevoll, wie sie sich anhören. Seine Pfeife wandert ständig zwischen Mund und Aschenbecher hin und her, wird (tapp-tapp-tapp) leergeklopft, neu gestopft, angezündet, gelöscht, ausgekratzt, gleich wieder gestopft und so weiter, bis er so gegen vier Uhr der Verlockung der länger werdenden Schatten nicht mehr widerstehen kann. Er klemmt sich die Pfeife zwischen die Zähne und verlässt mit großen Schritten das Camp, geht wieder die Bananenpflanzungen ab oder einmal rund um die Farm herum. Dads normaler Tagesablauf lässt nicht viel Zeit für Reminiszenzen.
    Dads Mutter, Ruth – »Boofy« – war die jüngste von sechs Garrard-Töchtern: Die Garrards waren Kronjuweliere, die ältesten Juweliere der Welt, Hoflieferanten Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen von Wales. »Und weil sie eine Garrard war, haben alle geglaubt, Boofy müsste einen Haufen Geld geerbt haben«, sagt Mum. »Dabei hat sie von den Garrards allenfalls die klobigen Fesseln geerbt.« Mums Blick gleitet selbstgefällig an ihren schlanken, sonnengebräunten Beinen entlang. »Arme Boofy«, sagt sie.
    Was keiner ausspricht, aber alle wissen, ist die Tatsache, dass Boofy eine schwere Alkoholikerin war. Diese Sucht hatte sie von ihrer Großmutter geerbt, die ums Leben kam, als sie sturzbetrunken rückwärts in den Kamin kippte. Es wäre nur logisch, wenn solche Erfahrungen Dad sein Leben lang von Trinkern ferngehalten hätte. Das Gegenteil war der Fall: Da musste jemand schon zehn Jahre lang jeden Morgen vor dem Frühstück eine Flasche Gin in sich hineinschütten, um Dad davon zu überzeugen, dass dieser Jemand ein Alkoholproblem hatte. Darüber hinaus ist ein schwerer Kater so ziemlich das einzige Leiden, das ihn dazu bewegen könnte, dem Betroffenen ein linderndes Aspirin zu spendieren. Herzanfälle,

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