Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
seine Zukunft hörte sich wahnsinnig vielversprechend an«, sagte sie zu Vanessa und mir. »Er war unser absoluter Lieblingscousin.« Also richtete sie es so ein, dass meine Eltern unter ihrem Dach getrennt schlafen mussten: Mum im Gästezimmer, Dad wurde in die Werkstatt verbannt. Als hegte sie die Hoffnung, eine einzige Nacht der Trennung könnte diese unstatthaft wilde Kolonialehe in die Krise stürzen oder ihr gar ein Ende machen.
Dad war erst seit zwei Wochen in Kenia, da stand er schon wieder am Flughafen und wartete auf eine Maschine aus England. »Wahrscheinlich sollte ich jemanden abholen, ich weiß nur nicht mehr, wen«, sagt er. »Ich weiß nur noch, dass ich diese Blondine in ihrem hellblauen Outfit aus der Maschine steigen sah.« Die Blondine war niemand anderer als Mum, frisch zurück aus Mrs. Hoster’s Kolleg für junge Damen. »Puuh, du glaubst nicht, wie deine Mutter aussah, Bobo. Schon von Weitem blieb einem die Luft weg.« Er beugt sich über sie, tätschelt ihr die Hand und fragt: »Kommen Sie öfter her oder nur zur Paarungszeit?« (Es ist einer von Dads Standardwitzen, ausgeborgt bei der Goon Show des BBC Home Service, aber Mum strahlt, als hätte sie ihn zum ersten Mal gehört.)
Und Mum hatten es Dads schlackernde knielange Bermudas besonders angetan. »Alle anderen liefen wie die Schuljungen in diesen grauenhaft engen Boxershorts herum, aus denen unten die Hosentaschen rausguckten«, sagt sie. Und so willigte sie ein, als Dad sie keine vier Wochen nach ihrer ersten Begegnung bat, seine Frau zu werden. Dad telegrafierte die Nachricht von der Verlobung nach England und erhielt prompt Antwort von seinem Vater: »Ist sie schwarz? Stop. Finger weg. Stop.« Aber meine Eltern ließen sich nicht in ihre Pläne reden. Am 11. Juli 1964 heirateten sie in Eldoret. Die Schnappschüsse von dem Tag dokumentieren überwiegend (fast ausschließlich sogar) die Anverwandten der Braut: mein Großvater, der sich laut lachend über ein Glas Champagner beugt, meine Großmutter, die vom Blumenarrangement auf ihrem Hut schier erdrückt wird, Tante Glug, die beinahe aus ihrem Brautjungfernkleid platzt, Mums Freunde, die (auf eine gesunde, rotwangige Pakka-Pakka-Sahib-Art) angesoffen aussehen.
Dads Familie blieb der Hochzeit komplett fern, und ihre Abwesenheit ist der Anfang von allem, was folgte. Auf den Bildern wird Mum von ihrer Familie eingerahmt, Dad hat niemanden, und es ist klar, was das für ihn heißt. Sein Blick scheint bereits eine Art Trennung von der Welt zu argwöhnen. Selbst an Mums Seite – vielleicht gerade an ihrer Seite (sie so zuversichtlich, er mit gigantischem Kater) – erscheint einem Dad auf jedem dieser Fotos abgrundtief einsam.
Vielleicht lag es an diesem ungleichen Beginn, dass wir viel weniger von meinem Vater als von dem Denken, dem Freundeskreis und den Angehörigen meiner Mutter beeinflusst wurden. Mum denkt afrikanisch, also fühlen wir uns als Afrikanerinnen. Und da sie sich von der Abstammung her zugleich für eine tausendprozentige Hochlandschottin hält, fühlen wir uns etwas Wildem, Englandhassendem auf afrikanischer Erde entsprungen. Eigentlich sind meine Schwester und ich mehr als zur Hälfte Englisch, aber das wird beinahe vollständig ignoriert. Selbst Hodges weit zurückreichendes anglikanisches Erbe (die vielen Bischöfe und Priester der Church of England) gerät zur Fußnote angesichts der Tatsache, dass er sich als »Schotte« zum Dienst im Zweiten Weltkrieg meldete.
Mein Vater mag noch so englisch sein, doch er kämpfte in einem afrikanischen Krieg, als ich heranwuchs, und hatte sein Englischsein auf diesem Kontinent, der keine Kompromisse duldet, schon zehn Jahre lang unterdrücken müssen. Somit erscheint uns der englische Anteil an unserer Identität als eine Leere, etwas Fehlendes, das sich lediglich in ererbten, stereotypen Wesenszügen äußert: Abneigung gegen jedwede Sentimentalität, Unverkrampftheit gegenüber allem Profanen, Abscheu vor schlechten Manieren, tiefstes Misstrauen gegenüber Humorlosigkeit. Mein Bedürfnis, diese skizzenhafte Kontur eines Englischseins mit Farbe und Kontext zu füllen, zwingt mich dazu, meinen wortkargen Vater über sich auszufragen: Ich suche nach der Zeit, als er noch zu einem Stamm, einem Land gehörte. Ich suche nach dem Menschen, der er war, bevor er zu dem Mann wurde, der niemanden um Hilfe bitten konnte, und wenn unser Leben auf dem Spiel gestanden hätte.
Während Mums Kindheit in einer selig beengenden, umgebauten
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