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Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)

Titel: Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fuller
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Küchentisch. Er schloss jede Tür zwischen Mum und der Welt draußen. Dann ging er zurück in die Koppel, scharrte das Loch für sie, so tief es ging, und erschoss Violet.
    Mum legte sich eine Woche lang ins Bett, danach noch eine. Als sie auch nach zwei Wochen keine Anstalten machte aufzustehen, kam Granny aus Eldoret. Sie nahm Vanessa auf den Schoß und setzte sich ans Fußende von Mums Bett. Mum stillte das Baby und trank den Tee, den Granny ihr brachte. Sie streichelte Suzys Ohren, ließ den Kater auf ihrem Kopfkissen schlafen, aber sie konnte nicht aufhören zu weinen und verließ das Haus nicht. »Warum?«, fragte sie immer wieder.
    Mum meinte damit, dass ihr das Medium genommen war, über das sie ihre Welt verstehen konnte. Sie hatte ihren Kompass, die Orientierung verloren. »Ein Blick zwischen Violets Ohren, und ich wusste, wo es langging«, sagt sie. Meine Großmutter schleppte ihre Tochter schließlich zum Arzt, weil sie sich Sorgen machte über Mums ungewöhnlich heftige Niedergeschlagenheit und weil sie der Überzeugung war, von einer ordentlichen Dosis Tranquilizer könnten sie alle profitieren. Der Doktor machte ein paar Tests, dann kam er zurück in das Behandlungszimmer. »Sie hatten’s aber eilig«, sagte er. Beide, Mum und Granny, schauten auf. Der Doktor betrachtete Mum, die blass und abgemagert war, und runzelte die Stirn. Dann sah er Vanessa an, die noch nicht einmal aufrecht sitzen konnte. »Sie sollten mit Ihren Kräften haushalten, Mrs. Fuller«, sagte er. Mum war wieder schwanger.
    Ein neues Baby war unterwegs, und Dad kam zu der Auffassung, dass er lange genug kreuz und quer durch Ostafrika gefahren war. Er wollte eine Farm, ein Stück Land, auf dem seine wachsende Familie Wurzeln schlagen konnte. Ihm schwebte eine ostafrikanische Version von Douthwaite vor: Milchvieh, ein paar gute Pferde, das ganze Jahr über gefüllte Wasserläufe, hügeliges Land. Er leistete eine Anzahlung auf ein Stück in den Highlands, das seiner Vorstellung entsprach, aber bevor das Geschäft zum Abschluss kam, schaltete sich der Beamte der Landverwaltung ein. »Er lud mich zu einer Tasse Kaffee ein«, sagt Dad, »und erklärte mir, dass die Farm, die ich kaufen wollte, offiziell noch nicht vergeben war.« Dad verstand. »Die neue Regierung hatte sie für den Gemüseanbau reserviert. Wenn ich sie gekauft hätte, wären wir nach einem Jahr rausgeworfen worden und hätten unser ganzes Geld verloren.«
    Meine Großeltern verkauften die Farm in Eldoret an ein Dutzend Kleinbauern. (»Die Bauern trugen ihr ganzes Geld bei sich, als sie zum Haus kamen. Sie hatten es in die Falten ihrer Kleider gesteckt, kein Geldstück größer als ein Schilling«, sagt Mum.) Meine Großeltern wohnten noch ein paar Monate in Nairobi, bevor sie sich ein letztes Mal nach England einschifften und in eine Doppelhaushälfte am Stadtrand von Pangbourne zogen, im Gepäck mehrere Kisten Bücher, das verräucherte Porträt einer Huntingford-Ahnin, Teppiche, die Generationen von Hunden als Schlafplätze gedient hatten, sowie ein Sofa, das Wolken roten Staubs ausatmete, wenn man ihm zu nahe kam.
    Auch wenn sie für den Rest ihres Lebens in England, später in Schottland lebten, behielten meine Großeltern die Gewohnheiten kenianischer Siedler bei – sie bauten den Großteil ihres Gemüses im eigenen Garten an, mein Großvater pflanzte und räucherte seinen eigenen Tabak, sie kochten sich ihr Essen auf einem Holzofen, schluckten jeden Abend eine Chininpille und tranken um elf Uhr vormittags einen doppelten Gin mit French Coffee (nach dem meine Großmutter die Neigung hatte, im Kreis zu gehen, was sie auf ihr schon seit der Geburt verkürztes linkes Bein zu schieben pflegte).
    »Als meine Mutter und mein Vater Kenia verließen, ging für uns eine Ära zu Ende«, sagt Mum. »Glug studierte in England, niemand von meiner Familie war mehr da, und alle unsere Freunde verließen das Land. Kenia hatte für uns sein Herz verloren. Wir sahen uns nach etwas anderem um. Wo konnten wir hinziehen? Ich hätte meinen Eltern nicht nach England folgen können. Es brach meiner Mutter das Herz, aber ich wusste, dass ich in Afrika bleiben wollte.«
    Was Mum nicht sagt, aber meint, ist, dass sie im von Weißen regierten Afrika bleiben wollte. In mancherlei Hinsicht muss sie es gar nicht sagen. Die meisten weißen Afrikaner verließen den Kontinent oder zogen sich immer tiefer in den Süden zurück, je mehr Länder weiter nördlich die Unabhängigkeit errangen. Und

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