Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
den Rest ihres Lebens das Lesen verleiden würde.«
Mum brachte ihr neugeborenes Baby nach Lavender’s Corner, und ihr perfekt ausgeleuchtetes filmisches Leben verlief weiter wie nach Plan. Vom ersten Tag an schlief Vanessa die Nächte durch. »Sie machte so gut wie nie Probleme. Nachdem ich sie gestillt hatte, legte ich sie am Ende des Gartens in den Kinderwagen.«
»Sah sie dem Nachbarn ähnlich?«, frage ich.
Mum wirft mir einen bösen Blick zu. »Nein, Bobo, Vanessa sah dem Nachbarn nicht die Spur ähnlich, so leid es mir für deine grässlichen Bücher tut.« Die peinliche Pause, die entsteht, gibt mir Zeit, mich für meine hässliche Bemerkung gründlich zu schämen. »Nein«, fährt sie fort. »Ich habe sie in den Kinderwagen gelegt und ihn nach hinten in den Garten geschoben, um in Ruhe malen zu können.« Meine Mutter seufzt. »Na ja, ich fand das in Ordnung, weil sie so ein friedliches Kind war, und Suzy hat ja auf sie aufgepasst. Suzy war sehr fürsorglich. Wehe dem, der Vans Kinderwagen zu nahe kam.«
Und so stellte Mum Vanessa auch an einem hellen sonnigen Morgen Ende Juni wie jeden Tag unter den Pfefferbaum und kehrte zurück zur Staffelei auf der Veranda. Vanessa war noch zu klein, um sich aufzusetzen oder sich mit irgendetwas anderem zu beschäftigen als der Verarbeitung unverdaulicher Quanten Shakespeare-Texte, die ihr im embryonalen Zustand verabreicht worden waren. Inzwischen hatte die Trockenzeit begonnen, und das Licht war so diffus, dass es an Buschfeuer erinnerte oder an Staub, der aufgewirbelt wird. »Ach, und diese Farben an dem Tag, die vergesse ich nie. Alles Ocker mit violetten Schattierungen«, sagt Mum. »Man wird eben so sehr von der Welt in Anspruch genommen, verstehst du?«
Ungefähr nach einer Stunde sah Mum aus den Augenwinkeln, dass Suzy hektisch zwischen Veranda und dem Ende des Gartens hin- und herlief, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Sie ließ den Pinsel fallen und rannte hinaus auf den Rasen.
»Vanessa war nicht mehr da«, sagt Mum. »Ich schaute mich wie wild um, aber von ihr war nichts zu sehen und zu hören. Schließlich entdeckte ich den Kinderwagen zehn Meter weiter. Die Bremse musste sich wohl gelöst haben, er war weggerollt und umgekippt. Vanessa lag im Verdeck, begraben unter ihren Decken, krebsrot in der Sonnenhitze.« Mum schüttelt den Kopf. »Ich bin so erschrocken«, sagt sie. »Das war’s. Ich habe nie wieder einen Pinsel in die Hand genommen.«
Kurz vor Ende der Trockenzeit brachen Missgeschicke und Tragödien so geballt über ihr Leben herein, dass meine Mutter zu Beginn der nächsten kurzen Regenzeit ihre Welt nicht mehr wiedererkannte. Zuerst trieb eins von Dads Poloponys Violet über einen Stacheldrahtzaun. »Ich fand sie in einer der Koppeln, der Bauch aufgerissen, der Hals blutig, die Fesseln in Fetzen«, sagt Mum. Mum schickte Charlie Thompson eine Eilmeldung nach Molo und versorgte die Wunden in der Zwischenzeit mit May & Baker-Puder und flüssigem Paraffin. Violet zitterte. Blut lief meiner Mutter an den Armen herunter.
Charlie kam am nächsten Tag. Er schüttelte den Kopf. »Erschießen«, sagte er. »Wäre wirklich das Beste für das Pferd.« Aber als er Mums Gesicht sah, gab er auf und verabreichte Violet etwas gegen den Schmerz und noch ein Mittel, um die Infektion einzudämmen. »Es wäre wirklich das Beste …«, fing er wieder an, doch Mum schüttelte nur den Kopf. Charlie fuhr wieder weg. Mum blieb noch einen Tag und eine Nacht bei Violet. Alle sechs oder acht Stunden brachte die besorgte Kinderfrau ihr Vanessa rauf auf die Koppel. Abwesend, ohne den Blick von der Stute zu nehmen, stillte Mum das Baby.
Als Dad am Freitagabend heimkam, fand er Mum und Violet halb verrückt vor Erschöpfung. Mum wollte das Pferd auf den Beinen halten. Violet wollte sterben. »Wenn ich sie loslasse, gibt sie auf«, sagte Mum.
Dad streichelte den Hals der Stute. »Ja«, sagte er, »das tut sie.« Er wartete gemeinsam mit Mum noch ungefähr eine Stunde. Dann sagte er: »So, Tub.«
»Ich weiß«, sagte Mum. Sie ließ den Halfterstrick fallen. Die Stute seufzte, dann legte sie sich langsam hin, zuerst knickten die Vorderbeine ein, dann brach unter enormer Anstrengung das Hinterteil herunter. Mum zog ihre Strickjacke aus und legte sie dem Tier um die Schultern. »Good-bye, Violet«, sagte sie, Tränen liefen ihr an der Nase herunter, tropften dem Tier auf den Hals. Dad brachte Mum zurück ins Haus und setzte sie mit einem Glas Brandy an den
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