Unter dem Baum des Vergessens -: Ein Leben in Afrika (German Edition)
geschossenen Stücks Wild, zu Brei zerkochte Bohnen und viele Liter schlechten Wein. Er wohnte in einem dunklen Haus aus Zedernholz, eingerichtet mit abgewetzten Ledersesseln und mottenzerfressenen Tierfellen als Teppichen. An den Wänden hing die übliche Sammlung räudiger Tierköpfe und angelaufener indischer Säbel. »An die tausend schlecht erzogene Hunde lagen überall herum und zählten einem die Bissen in den Mund«, sagt Dad. Und es gab einen Papagei. »Wenn man um die Soße bat, rief das Mistvieh: ›Du kannst mich auch mal!‹« Das Essen endete traditionell mit Portwein vor dem Kamin. Gegen Mitternacht wurde der Generator ausgeschaltet, und die Gäste wankten mit Kerzen zu Bett. »Und dann ging das Herumgetappe auf dem Flur los«, sagt Dad. »Mum und ich haben unsere Tür verriegelt.«
»Ja, so war das«, sagt Mum. »Die Leute mussten ihre Kinder im Kinderwagen irgendwo ganz hinten im Garten verstecken, bis sie alt genug fürs Internat waren, weil sie dem Nachbarn so ähnlich sahen.«
Am nächsten Morgen versammelte sich alles im Garten zur Fuchsjagd, die Hunde warfen sich hin und her und jaulten und rieben sich an den Vorderläufen der Pferde. »Mit einer Stute wie Violet musste man sehr vorsichtig sein, denn Amos war scharf wie Nachbars Lumpi«, sagt Mum. »Ehe du dich versahst, waren Charlie und Amos neben dir und alles stand bei ihnen raus …« Ein Abschiedstrunk für die Reiter wurde herausgebracht. »Meistens Dry Sherry«, sagt Mum, »und davon konnte man einen kräftigen Schluck vertragen, denn es war lausig kalt da oben, und die Jagd war verflucht gefährlich.«
Dann sprangen die Pferde der Reihe nach über die hölzerne Einfriedung. »Damals hatte man den Pferden noch nicht beigebracht, über Stacheldraht zu springen, also gab es keinen anderen Weg«, sagt Mum. »Alle mussten sich über diese unmöglich hohen Viehzäune quälen, und dann ging’s hinein in den Nebel, am Waldrand entlang, die Hunde kläfften, und der Riedbock sprang vorneweg. Meistens kam er davon, Gott sei’s gedankt.« Mum seufzt. »Violet war begeistert. Sie war schnell wie der Wind – mit ihrem Mut und ihrer Ausdauer machte die Höhe ihr gar nichts aus. Wir waren den anderen immer um Längen voraus.«
»Sogar Amos und Charlie?«, frage ich.
» Vor allem Amos und Charlie«, sagt Mum.
Anfang August 1965, bei einer von Charlie Thompsons Jagden, bekam Mum zum ersten Mal in ihrem Leben Schiss. »Wir mussten wie immer über diesen scheußlichen Kraal springen, hundertmal hatte ich das schon gemacht, aber auf einmal verließ mich der Mut. Ich glaube, Violet hat mein Zögern gespürt, denn sie verweigerte, und ich fiel herunter.« Dad musste Violet schließlich über die Einfriedung reiten, und Mum ging zu Fuß außen herum. Den restlichen Ritt schaffte sie, doch der Sturz hatte sie ungewöhnlich heftig mitgenommen.
Zurück in Lavender’s Corner legte Mum sich ins Bett und wollte nicht wieder aufstehen. »Bis Suzy irgendwann die Nase voll hatte und mich zu einem Spaziergang nötigte, aber mir wurde schlecht von der Anstrengung«, sagt sie. »Vom Geruch meiner Ölfarben wurde mir schwindelig, jeder Bissen drehte sich mir im Magen um. Also ging ich zum Arzt und erklärte ihm, dass ich bei Charlie Thompsons Jagd gestürzt sei und mich noch immer nicht besser fühlte. Nach ein paar Tests teilte er mir mit, dass ich schwanger war. Ich war außer mir und rief: ›Nein, so ein Quatsch. Nur weil man vom Pferd fällt, wird man doch nicht schwanger. Das weiß doch jedes Kind.‹«
Anfang September waren die Beweise dafür, dass ein Baby ins Haus stand, nicht mehr zu übersehen. Mum ergab sich in ihren Zustand und fing an, dem Baby in ihrem Bauch Shakespeare-Dramen vorzulesen. »Sämtliche Untersuchungen in diesen sonderbaren Büchern über das richtige Kinderkriegen waren zu dem Ergebnis gekommen, dass lautes Vorlesen zu heiteren intelligenten Babys führt«, sagt Mum.
»Aber Shakespeare?«, gebe ich zu bedenken.
Mum blinzelt argwöhnisch. »Na ja, wieso soll man sich nicht von Shakespeare aus in die Literatur vorarbeiten?« Und so kam es, dass Vanessa Margaret Fuller zum Zeitpunkt ihrer Geburt am Abend des 9. März 1966 im Nakuru’s War Memorial Hospital bereits König Lear , Macbeth , Hamlet , den größten Teil von Coriolanus , mehrere Sonette und die wichtigsten Komödien zu Gemüte geführt bekommen hatte. Sie war blond, blauäugig und unnatürlich still. Mum zuckt die Achseln. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ihr für
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