Unter dem Deich
Frau sonntags in Vlaardingen Tennis spielt?«
»Ach, Maud spielt in Vlaardingen Tennis? Das wusste ich gar nicht.«
»Wirklich nicht? Immerhin spielt sie dort zusammen mit deinem Mann.«
»Mit Jan?«
»Ja, jemand aus der Gemeinde hat mir das neulich erzählt. Frag mich nicht, woher der das wieder wusste, aber du weißt ja, wie das geht: Alles, was man macht, wird von irgendwem beobachtet.«
»Ich kann nicht glauben, dass Maud sonntags mit meinem Mann …«
Sie schwieg und dachte: »Sollte er etwa jedes Mal, wenn er seine Mutter in Vlaardingen besucht, anschließend mit Maud eine Partie Tennis spielen?«
»Ein anderes Gemeindemitglied hat mir übrigens berichtet, dass die beiden auch hin und wieder tanzen gehen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, dagegen habe ich nichts, aber ich kann von der Kanzel herab natürlich nicht die Stimme erheben gegen …«
»Tanzen? Maud und Jan?«
»Ich weiß nicht, ob es stimmt, es sind nur Gerüchte … aber wenn man Pastor ist, dann behalten einen die Leute so scharf im Auge, dass man eigentlich kein Privatleben mehr hat. Tja, ich selbst tanze nicht, daran war früher überhaupt nicht zu denken, dass ein orthodox-reformierter Junge zur Tanzschule ging. Hast du tanzen gelernt?«
»Ich? Ich glaube nicht, dass es unter dem Deich jemanden gibt, der Tanzstunden gehabt hat. Könnte es im Übrigen nicht einfach so sein, dass die Menschen früher, weil sie arm waren, eine gute Entschuldigung gebraucht haben, warum sie alle Dinge, die Geld kosten, nicht so gern machen, und dass sie dabei entdeckt haben, dass die Heilige Schrift genau diese Dinge verbietet? Wenn die Bibel es nicht gestattet, zu tanzen, ins Kino zu gehen, einen Fernseher anzuschaffen, dann ist es gar nicht mehr so schlimm, wenn man dafür kein Geld hat. Dann ist es im Gegenteil sogar schön, kein Geld zu haben. Dann kann man sich nämlich einbilden, es sei ein Verdienst, das zu unterlassen, was Gott einem verboten hat.«
»Könnte sein«, sagte Teun schläfrig, »könnte sein.«
»Und könnte dasselbe nicht auch für die überaus strenge Moral gelten, die man uns für all das beigebracht hat, was mit der Liebe zu tun hat? Ist diese Moral möglicherweise nur entstanden, um schreckliche Krankheiten zu verhindern, während wir so tun, als hätte Gott selbst von uns verlangt, dass wir keusch und enthaltsam leben?«
Sie hörte sich reden und wusste, dass sie einzig und allein redete, um sich ihre Verwunderung, ja Beunruhigung nicht anmerken zu lassen über das, was Teun ihr berichtet hatte: dass Maud und Jan zusammen tanzen gingen und Tennis spielten. Sie dachte: »Siehst du, da ist er wieder, der Standesunterschied! Ich habe nie tanzen gelernt, ganz zu schweigen davon, dass ich jemals Tennis gespielt hätte. Das ist ein Sport für reiche Leute! Die beiden passen zueinander, meinetwegen, warum sollten sie nicht zusammen Tennis spielen? Allerdings: Warum haben sie das vor mir geheim gehalten?«
Teun war eingeschlafen, offenbar vom Alkohol benebelt, vor dem weder im Alten noch im Neuen Testament jemals gewarnt wird. Sie stand auf und ging zur Küche, aus der das Geräusch von Stimmen, aber vor allem Lachen zu hören war. Sie öffnete die Tür und sah, wie Maud die Hände aus dem Abwaschwasser nahm und sie so schüttelte, dass Jan nass gespritzt wurde. Behutsam schloss sie die Küchentür wieder, in der Hoffnung, dass die beiden sie nicht bemerkt hatten. Sie ging zurück ins Wohnzimmer, setzte sich ans Fenster und schaute auf das in der Dunkelheit matt glänzende Hafenwasser hinaus. Sie dachte an das, was Pascal geschrieben hatte: »Die Stille des ewigen Raums erschreckt mich.« Sie überlegte: »Wieso war Pascal sich so sicher, dass der ewige Raum still ist? Vielleicht weht es da ja ständig. Vielleicht bläst dort immer ein Südwestwind, genauso wie hier immer ein Südwestwind bläst, ein Wind, der einen beruhigt oder einen erschreckt, der einem aber nie das Gefühl gibt, es könnte sich, selbst wenn noch so viel passiert, jemals etwas ändern.«
8
Sie stand am Fenster und sah die Züge vorüberfahren. Bald würde die Abenddämmerung einsetzen. Sie konnte nicht begreifen, dass sie sich bis in die tiefste Seele schockiert, gekränkt, gedemütigt fühlte. Hatte sie Jan denn so sehr geliebt? Und Maud? Ihr war, als würde sie wieder im Laden von Strijbos arbeiten und müsste die von Frau Strijbos genähte Uniformjacke tragen. Was sie am meisten verbitterte, war das Gefühl, ausgeschlossen worden zu sein. Wochenlang
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