Unter dem Georgskreuz
ihm schwer, sie nicht anzustarren. Sie war schön – nichts anderes konnte man sagen. Ihr Haar war so dunkel, daß man es für schwarz halten konnte. Es war hoch über ihren Ohren aufgesteckt, so daß Kehle und Hals auf seltsame Weise ungeschützt oder herausfordernd schienen. Sie ließ ein winziges Lächeln erscheinen, als sie fragte: »Was haben Sie Neues für mich?«
Catherine hatte seine prüfenden Blicke bemerkt. Das widerfuhr ihr ständig. Der berühmte Anwalt, den Sillitoe empfohlen hatte, dessen Rat sie erbat, machte da keine Ausnahme, trotz des großtuerischen Verhaltens. Sillitoe hatte sie vorgewarnt: »Wie bei den meisten Anwälten, werden Sie auch bei ihm seinen Wert und seine Ehrlichkeit an der Höhe seiner Rechnung ablesen können.«
Lafargue sagte: »Sie kennen alle Einzelheiten des Testaments Ihres verstorbenen Gatten.« Er hüstelte höflich.
»Verzeihung, Ihres ersten Gatten, meine ich natürlich. Seine Geschäfte florierten selbst während des Krieges zwischen unserem Land und Spanien. Sein Sohn wünscht, daß Sie jetzt das erhalten, was schon immer für Sie bestimmt war.« Sein Blick fuhr über das Papier. »Claudio Luis Pareja ist sein Sohn aus erster Ehe.«
»Ja«, sagte sie nur. Die ungestellte Frage überhörte sie. Er kannte die Antwort sowieso. Als Luis sie gebeten hatte, ihn zu heiraten, war er mehr als doppelt so alt gewesen wie sie. Und selbst sein Sohn Claudio war älter. Es war keine Liebe gewesen, so wie sie sie jetzt kannte, aber die Güte des Mannes und sein Begehren waren wie eine offene Tür gewesen, durch die sie schreiten konnte. Sie war ein einfaches Mädchen gewesen, und er hatte ihr Visionen gegeben und Gelegenheiten geboten. So hatte sie die Sitten und Umgangsformen der Menschen gelernt, mit denen er geschäftlich zu tun hatte.
Er starb, als Richard Bolithos Schiff das Schiff stoppte, mit dem sie beide unterwegs zu ihren Besitzungen auf Menorca waren. Hinterher wußte sie, daß sie schon damals Richard liebte, doch sie hatte ihn aus den Augen verloren. Bis Antigua, als er unter seiner eigenen Flagge auf der alten
Hyperion
in English Harbour ankerte.
Wieder fühlte sie die Augen des Anwalts. Doch als sie aufblickte, prüfte er wieder Papiere.
»Also bin ich jetzt eine reiche Frau?«
»Mit einem Federstrich, Mylady!« Es verblüffte ihn, daß sie weder Überraschung noch Triumph zeigte, schon seit dem ersten Briefwechsel nicht. Eine schöne Witwe, beneidet, reich. Manch ein Mann würde in Versuchung kommen. Er dachte an Admiral Sir Richard Bolitho, den Helden, den selbst die einfachsten Seeleute zu verehren schienen. Und dann sah er sie wieder an. Ihre Haut war braun wie die einer Frau vom Land, ebenso ihre Hände und Handgelenke. Er stellte sich ihr Zusammensein vor, wenn der Ozean oder der Krieg sie nicht gerade trennte.
Der Gedanke ließ ihn sagen: »Ich habe gehört, daß es in Amerika endlich vorangeht.«
»Was genau?« Sie blickte ihn an und legte ihre Hand an die Brust. Wie schnell das geschah, wie ein Schatten, wie eine Bedrohung.
Er sagte: »Wir haben gehört, daß die Amerikaner York angegriffen haben, mit großer Macht den See überquert und dort alle Regierungsgebäude niedergebrannt haben.«
»Wann?« Das Wort fiel wie ein Stein in den Brunnen.
»Ungefähr vor sechs Wochen, denke ich. Neues kommt sehr langsam von dort zu uns.«
Sie blickte aus dem Fenster, hinter dem sich frisches Grün bewegte. Ende April. Richard hätte dabeisein können, auf jeden Fall war er involviert. Leise wollte sie wissen: »Sonst noch etwas?«
Er räusperte sich. Ihre unerwartete Betroffenheit machte ihm Mut. Vielleicht war sie doch verletzbar.
»Es wird von einer Meuterei auf einem unserer Schiffe geredet. Arme Hunde, man kann’s ihnen kaum übelnehmen.« Er hielt inne. »Aber es gibt natürlich Grenzen. Schließlich sind wir im Krieg!«
»Welches Schiff?« Sie spürte, daß er ihre Betroffenheit irgendwie genoß. Ihr war das gleichgültig. Es spielte keine Rolle. Nichts war mehr wichtig. Selbst das Geld nicht, daß sie auf so unerwartete Weise geerbt hatte. Armer Luis, der schon so viele Jahre tot war. Scharf fragte sie: »Können Sie sich an den Namen erinnern?«
Er spitzte die Lippen. »
Reaper
. Ja, richtig. Kennen Sie das Schiff?«
»Es gehört zum Geschwader von Sir Richard. Ihr Kommandant ist im letzten Jahr gefallen. Mehr weiß ich auch nicht.« Er würde ohnehin nichts begreifen. Meuterei… Sie hatte Richard genau beobachtet, als er eine Meuterei beschrieb
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