Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
beeindrucken) und der multifunktionalen Baby-Spieldecke mit akustischen Signalen, Lichteffekten sowie Knistertieren mit Audio- und Bewegungsfunktionen. (Ich habe diese Decke vergangene Woche bei «Amazon» bestellt, denn der Begleittext hatte mich davon überzeugt, dass ein lebenswertes Leben für mein Kind ausschließlich mit dieser Anschaffung möglich sei: «Diese Aktivitätendecke sorgt für einen sicheren und dennoch dynamischen Spielspaß. Ein wichtiger Bestandteil ist das integrierte, durch das Kind selbst aktivierbare Kick & Play Responsepad, welches der Spielbogendecke eine neue Dimension der Entwicklungsspielzeuge verleiht.»)
Abgesehen von diesen beeindruckenden Versprechungen bezüglich der Entwicklung meines Sohnes entspricht die Erlebnisdecke auch komplett meinem degenerierten Geschmack.
Ich liebe alles, was bunt, kitschig und aus Plastik ist. Und wenn es dann noch blinkt, gibt es für mich kein Halten mehr. Das kommt davon, dass meine Eltern pädagogisch wertvoll sein wollten und mir immer nur Holzspielzeug zur Verfügung stellten.
Während meine Freundin Heike zu ihrem sechsten Geburtstag ein hüfthohes, rosafarbenes Barbie-Puppenhaus inklusive Einrichtung und mehrerer Barbies mit diversen Tüll- und Seiden-Outfits bekam, fand ich auf dem Gabentisch ein paar kümmerliche Holzfiguren mit dicken Nasen, Haaren aus Wolle und Kleidern, die auch von meiner wunderbaren, aber diesbezüglich talentfreien Mutter selbst genäht hätten sein können.
Heike hat heute einen einwandfreien Geschmack, während ich immer noch versuche, meine plastikfreie Vergangenheit mit so viel Kitsch wie möglich aufzuarbeiten. So viel zu guter beziehungsweise gutgemeinter Erziehung.
Jedenfalls hatte ich meine neuerworbene Aktivitätendecke schon mal probehalber aufgebaut, als mich Johanna gestern ohne Vorwarnung besuchen kam.
Sie sah die Decke und sagte: «Ich hoffe, du hast den Therapeuten für dein Kind gleich mitbestellt.»
«Wieso? Es handelt sich um ein ausgereiftes Entwicklungsspielzeug, eine ganz neuartige Dimension der Erlebnisdecken», antwortete ich überzeugter, als mir innerlich zumute war. Als Erstgebärende ist man ja leicht zu verunsichern.
«Ein Säugling will nichts erleben. Es hat schon seinen Grund, warum der neugeborene Mensch nicht sehr gut und nicht besonders weit sehen kann und fast den ganzen Tag schläft. Für den ist es aufregend genug, überhaupt am Leben zu sein. Was soll denn dein Sohn denken, wenn er die Augen aufmacht und als Erstes ein blinkendes, gelb-rot gepunktetes Flusspferd sieht? Da wünscht man sich doch auf der Stelle in den Mutterleib zurück.»
«So habe ich das noch gar nicht gesehen», murmelte ich betreten.
«Schick es wieder zurück», sagte Johanna. «Du kannst meine beiden haben. Und auch das Baby-Smartphone mit Tierstimmen, die Musikschnecke, das 3-D-Faszinationsmobile mit Fernbedienung und den multimedialen Lauflernwagen. Alles bei mir im Keller. Ich hab auch jeden Scheiß geglaubt und gekauft. Du brauchst nichts davon. Die Hauptsache ist, dass du dich rechtzeitig bei ‹Chinesisch für Neugeborene› anmeldest.»
«Wie bitte?» Ich hatte natürlich nichts dergleichen getan. Hatte ich damit womöglich meinem Kind bereits vorgeburtlich eine vielversprechende Karriere im asiatischen Raum verbaut? Mein Sohn durch meine Schuld ein vorprogrammierter Globalisierungsverlierer?
«War nur Spaß. Ich empfehle dir ernsthaft nur zwei Dinge: Bewirb dich bereits jetzt für einen Kita-Platz in deiner Nähe. Setz dich auf sämtliche Wartelisten, schick Briefe, Kuchen und signierte Bücher. Grinse dich durch Infoabende durch, versichere, dass du an einer regen Elternmitarbeit interessiert seist, behaupte, dein Mann sei handwerklich begabt und du könntest die weltbesten Tofupasteten backen. Egal wie, aber sieh zu, dass du dein Kind mit einem Jahr an Profis abgeben kannst. Und mein zweiter Rat: Such dir fürs erste Jahr mit Kind eine Krabbel- oder PEKiP-Gruppe.»
«Ist das wichtig fürs Kind?»
«Nein, für dich. Sonst fällt dir irgendwann die Decke auf den Kopf. Da triffst du Leidensgenossinnen, kannst über Milchstaus, postnatale Depressionen, Windelsorten und all den anderen Kram sprechen, den keine Sau außer frischen Müttern interessiert. Mir hat das sehr gutgetan.»
«Ich habe übrigens Halbzeit», sagte ich stolz. «Ich bin seit heute in der zwanzigsten Woche!»
«Genieß die Zeit! Jetzt kannst du dir noch die Schuhe selber zubinden, im Kino länger als zehn Minuten in ein
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