Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Grund empörte. Tamás hatte inzwischen zum x-ten Male angerufen, und gerade um 18 Uhr 55, als die Glocken den Sonntag einläuteten, kam die frohe Nachricht, dass er ein Töchterchen habe. Ehe ich mich’s versah, war er schon im Krankenhaus – inzwischen hatte ich unser Kindchen gesehen. Ach, es sah genauso erschöpft aus wie ich. Stell Dir vor, bei beiden waren die Augenlider ganz dick, und sie hatte außerdem noch Platzwunden auf der Kopfhaut.
Wie glücklich wir aber beide waren, kann ich Dir nicht beschreiben, aber Du kannst es Dir denken.
Am anderen Morgen bekam ich dann ein falsches Kind. Ich beschloss abzuwarten. Ich hielt also Händchen mit diesem Baby, und als ich nach 24 Stunden mein eigenes bekam, habe ich es gesagt und großes Entsetzen ausgelöst. Nun, leider hatte unsere ein nicht zu übersehendes Kennzeichen: die Platzwunden. Und da ich sowieso dauernd heulte (der junge, freche Arzt sagte: «Alles nur hormonelle Umstellung»), hatte ich nun einen wirklichen Grund.
Heute, am 4. April, gut zwei Monate später, wiegt Ildikó sechs Kilo und ist um drei Zentimeter gewachsen auf 57 Zentimeter. Sie hat ihr Däumchen entdeckt und lutscht gelegentlich an ihm, außerdem ihre Stimme und erzählt: egü egü und krr krr (k-Laute sollen laut Frau Schauer ein willensstarkes Kind verraten). Wenn ich aber sage: «Na, du willensstarkes Baby», dann lacht sie laut. Es ist schon wunderschön, so ein kleines Wesen bei sich zu haben, und wir sind sehr, sehr glücklich. Hoffentlich bleibt sie gesund und so fröhlich wie bis jetzt; man wird richtig angesteckt. Sogar der Arzt, der doch wirklich viele Säuglinge sieht, war bei der letzten Impfung gerührt, als er die Decke öffnete und die Kleine ihn strahlend anlächelte und «krr» sagte. Als er sie dann einmal ganz liebevoll hochnahm, machte sie ihm allerdings diskret ein Häufchen in die Hand, aber er ertrug es mit Fassung. Vorgestern hatten wir Besuch von einem ungarischen Studenten, der auch gerade Vater geworden ist. Da hättest Du die beiden Väter mal hören sollen, wie sie mit ihren Kindern prahlten. Meinem Tamás habe ich dann ein Gedicht gelesen, das mir unwillkürlich in den Sinn kam, als ich zuhörte. Es ist der Lobgesang einer Mutter auf ihr Kind und hat den Refrain: «Leutchen, habt ihr auch so eins? Nein, ein solches habt ihr keins!» Das scheint mir auch ein passender Schlusssatz zu sein – vorläufig.
Sei ganz herzlich gegrüßt, liebe Mayka, und gute Gesundheit vor allem!
Deine Auguste
31. Dezember
Schwangerschaftswoche: 24
I ch weiß nicht, was ich tun soll! Ich liege panisch in meinem Bett, mein Bauch tut weh, und es kann sein, dass ich mein Kind verlieren werde.
Die Schmerzen waren gestern stärker geworden. Heute Mittag hatte ich, wieder einmal, definitiv den Eindruck, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ausgerechnet heute. Silvester.
Natürlich war weder mein Arzt noch sein Vertreter im Dienst. So fuhr ich einfach durch die Gegend und klapperte die Praxen ab, die ich vom Vorbeigehen her kannte.
Bei der fünften hatte ich Glück. Die Sprechstundenhilfe war zwar gerade am Zusammenpacken, und der Arzt hatte schon seinen Autoschlüssel in der Hand, aber wenn ich ängstlich bin, kann ich sehr überzeugend und hartnäckig sein. Ich wollte schließlich gemütlich Silvester feiern und brauchte einen Arzt, der mich beruhigte und das Ziehen im Unterleib für harmlos hielt.
Derzeit tut mir leider immer was weh. «Die Mutterbänder dehnen sich», hatte mein Gynäkologe gesagt, «das ist normal.»
Ach, ich liebe diese drei Worte! «Das ist normal.»
Sie sind das Mantra, mit dem ich mich über beschwerliche Tage rette. Denn ich als neurotische Erst-Schwangere mit zu viel Internetwissen und überbordender Phantasie kann zurzeit nicht einordnen, was von dem, was da gerade Seltsames mit meinem Körper passiert, nur normal und was tatsächlich Grund zur Sorge ist.
Ich kletterte also auf den Untersuchungsstuhl des mir fremden Arztes und freute mich bereits auf meine drei Lieblingsworte, als ich ihn sagen hörte: «Das sieht nicht gut aus. Der innere Muttermund ist geöffnet.»
«Was bedeutet das? Droht eine Frühgeburt?»
«Das hängt ganz von Ihnen ab. Verhalten Sie sich ruhig und gehen Sie nach den Feiertagen sofort zu Ihrem behandelnden Arzt. Ansonsten haben Sie es ja auch nicht weit zur Uniklinik.»
Jetzt liege ich im Bett, versuche mich ruhig zu verhalten, werde aber zwischendurch von so heftigen Weinkrämpfen geschüttelt, dass ich
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