Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
betrachte teils mit Staunen, teils mit Ablehnung und teils mit unverhohlener Bewunderung die Lebensmodelle anderer Eltern.
5. Dezember
Schwangerschaftswoche: 19
Zustand: Ich sehe jetzt von vorne genauso aus wie von hinten. Befremdlich irgendwie. Als würde ich ein weiteres Kind im Po austragen. Sollte ich heute zum Kaiserschnitt eingeliefert werden, müsste ich aufpassen, dass man mich nicht von der falschen Seite aufschneidet.
G estern sprach ich über Dankbarkeit, Beruf und späte Schwangerschaft mit einem Redakteur einer Schweizer Zeitung. Das war ein interessantes Interview, mein erstes als offiziell werdende Mutter:
Frau von Kürthy, Sie bekommen im April nächsten Jahres Ihr erstes Kind. Fühlen Sie sich dadurch jünger oder älter?
Weder noch. Ich hadere nicht damit, eine sogenannte späte Mutter zu sein. Besser spät als nie. In erster Linie fühle ich mich durch diese Schwangerschaft beschenkt – und das mag tatsächlich eine Frage des Alters sein: dass man das Großartige, das einem im Leben widerfährt, für weniger selbstverständlich hält. Kind, Erfolg, Gesundheit, Freundschaft, Liebe – mit 23 denkst du noch, das steht dir zu. Ab vierzig bist du dafür dankbar. Anne Enright schreibt über diese Erfahrung, kurz nachdem sie mit vierzig ihre Tochter bekam: «Ich sitze in meinem Garten und empfinde tiefe Dankbarkeit. Unterschätzen Sie nie, wie sehr Menschen darum kämpfen, ein völlig normales Leben zu führen.»
Ute Lemper wurde mit 48 Mutter. Ist das nicht purer Egoismus auf Kosten des Kindes? Muss man wirklich alles machen, was medizinisch möglich ist?
Ich finde, in diesem Fall wird die Medizin zum Werkzeug der Emanzipation. Die biologische Uhr ist so altmodisch. Dieses unzeitgemäße Phänomen der sich frühzeitig verabschiedenden Fruchtbarkeit, das so gar nicht ins moderne Frauenleben passt. Bis Mitte vierzig muss die Sache mit Kindern in trockenen Tüchern sein. Danach ist man zu alt. Aber man fühlt sich ja gar nicht so. Ich finde, da kann man der Natur durchaus ins Handwerk pfuschen. Die Biologie ist so verdammt unemanzipiert, dass es eine Frechheit ist!
Aber wenn Ute Lemper 70 ist, dann ist ihr Kind erst Anfang 20. Und die Enkel werden keine Großmutter haben.
Na und? Meine Eltern sind seit fünfzehn Jahren tot, die Mutter meiner Mutter habe ich nie kennengelernt. Ist das ein Grund, dass ich nie hätte geboren werden sollen? Ich will ja nicht unbescheiden klingen, aber ich bin ehrlich gesagt ganz froh, dass es mich trotzdem gibt.
Immer mehr Frauen entscheiden sich gegen Kinder, weil sie fürchten, berufliche Einbußen hinnehmen zu müssen. Warum haben Frauen heutzutage eigentlich so viel Angst, dass ihnen etwas entgeht oder dass sie etwas versäumen?
Weil wir zum Glück viel zu versäumen haben! Endlich gibt es für Frauen ein spannendes Alternativprogramm zu Kinderaufzucht und Männerbetreuung. Wir machen Karriere, gehen fremd, verlassen langweilige Typen, verzichten auf Kohlehydrate oder Unterhalt, steigen trotz Kleinkind wieder in den Beruf ein. Das ist großartig und angsteinflößend. Wer viel haben kann, muss auch auf viel verzichten. Wer sich entscheiden kann, kann sich auch falsch entscheiden. Aber es ist allemal besser, die Qual der Wahl zu haben als nur die Qual.
Können sich Frauen, wie Männer, wirklich über den beruflichen Erfolg definieren?
Hoffentlich immer mehr. Allerdings ist es immer ein Risiko, wenn man sich nur über eine Sache definiert. Männer, die alles auf den Beruf setzen und dann verlieren, sind am Ende schlimm dran. Und auch von Frauen, deren einziger Lebensinhalt die Familie war, bleibt wenig übrig, wenn die Kinder aus dem Haus sind.
Ich glaube, Sie unterschätzen, wie wichtig es für Frauen ist, eine gute Familie, Kinder zu haben. Was für den Mann die Firma ist, ist für die Frau die Familie. Beruflicher Erfolg mag auch für Frauen wichtig und befriedigend sein, aber am Ende zählt die Familie. Das ist das wichtigste Laufbahnprojekt.
Mein erster Reflex ist es, Ihnen auf der Stelle eins aufs Maul zu hauen und böse zu rufen, dass Sie komplett unrecht haben. Es könnte aber sein, dass Sie nicht komplett unrecht haben. Ja, ich fürchte, dass es sogar stimmt, was Sie sagen, aber ich verachte Sie zutiefst für Ihre Meinung und hoffe, dass sie falsch ist.
Wieso Verachtung?
Weil Sie so denken – und vielleicht auch noch recht haben. Das ärgert mich. Das hieße, Emanzipation ist letztlich nicht möglich, weil die Biologie das Wesen Frau
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