Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)
Wunder» gefeiert wurde. Neben dem Regisseur saßen die beiden Hauptdarsteller Nora Tschirner und Henning Baum.
Ausgerechnet. Ich bemühte mich zwar um ein gewisses Maß an Restwürde und Attraktivität, jedoch vergebens, wie mir trotz meines aufgewühlten Zustandes völlig klar war.
Als ich zehn Minuten später auf einer Trage abtransportiert wurde, klatschte das gesamte Lokal Beifall. Der Regisseur rief «Gutes Gelingen!», Nora Tschirner hielt beide Daumen hoch, und Henning Baum nickte mir aufmunternd zu.
Im Krankenwagen nahm Erdal tröstend meine Hand und sagte: «Sei nicht geknickt, Liebchen, es war für Henning einfach nicht die passende Situation, dir seine Handynummer zuzustecken.»
Dann kam die erste Wehe, und das Thema war fürs Erste erledigt.
«Hier alles in Ordnung?»
Der Oberarzt steht in der Tür und schaut ziemlich desinteressiert. Hat vermutlich noch ein paar gebärende Privatpatientinnen hier herumliegen.
«Ja», sagt die Hebamme.
«Nein!», brülle ich.
«Jetzt pressen!», befiehlt die Hebamme.
Minuten später liegt meine Tochter in meinen Armen.
«Sie ist einfach wunderschön», flüstert Johanna.
«Wem sieht sie ähnlich?», frage ich vorsichtig.
«Ihre Nase ähnelt der von Marathon-Michael», meint Karsten und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.
«Wenn ich mir ihre Augenpartie anschaue, tippe ich eher auf den hübschen Dermatologen», sagt Erdal. Er ist immer noch sehr blass. Eine Schwester hat ihn in einem Rollstuhl reingeschoben.
«Dass sie nicht von Marcus ist, sieht man sofort», meint Johanna. «Die Aktion mit der Haarbürste und dem Gentest hätten wir uns auch schenken können.»
Die Hebamme lässt irritiert einen blutverschmierten Latexhandschuh fallen.
«Wird in der Geburtsurkunde eigentlich ‹Vater unbekannt› stehen?», fragt Erdal.
«Richtig wäre: Vater egal», sage ich.
Ich bin so glücklich wie noch nie.
Und ich denke kurz an die Zeit, als ich noch Schinkengraubrot und Halbfettmargarine aß.
Und an den Augenblick, als das Telefon klingelte.
Um zehn nach acht.
An einem Dienstag im Februar.
20. April – noch neun Tage!
Heute die Schreckensnachricht: Meine Hebamme hat eine Lungenentzündung! Sie fällt wochenlang komplett aus.
Morgen kommt ihre Vertreterin, damit wir uns, bevor es losgeht, kennenlernen und mindestens noch zweimal sehen können.
So ein Mist. Das macht mich zusätzlich nervös.
Im Kühlschrank steht Milch mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum, das nach meinem Entbindungstermin liegt.
Es wird ernst! Countdown.
Ich grübele von morgens bis abends darüber nach, ob ich alles habe, was man so braucht. Habe ich nicht doch was Wesentliches vergessen?
Mehrmals täglich überprüfe ich die Utensilien für das Leben danach. Ich inspiziere kleinlich wie ein Hausmeister mit Zwangsneurose den Inhalt der Wickelkommode, des Bettchens und, ich erwähnte es bereits, immer wieder gern auch der Kliniktasche.
Es fühlt sich tatsächlich so an, als würde ich mich am Tag der Geburt meines Kindes für immer von der Welt, die ich kannte, verabschieden.
Ich horte Stilleinlagen, Windeln, Molton- und Feuchttücher, als stünde unmittelbar ein Terroranschlag bevor, dem alle Drogeriemärkte des Landes zum Opfer fallen.
21. April um 14 Uhr 12 – noch sieben Tage bis zum Entbindungstermin!
Telefonat mit Mann.
Ich: «Hallo.»
Er: «Meine Güte, erschreck mich doch nicht so! Immer wenn du anrufst, denke ich, es geht los.»
Ich (heulend): «Es geht los!»
«Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.»
HERMANN HESSE
Am 21. April um 22 Uhr 45 wird unser Sohn geboren.
W as bis dahin geschah:
Ich hätte der alten Kuh am liebsten eine reingehauen. Schon als die Vertretungshebamme Cordula unser Wohnzimmer betrat, war ich einigermaßen verblüfft. Irgendwie war ich der irrigen Annahme gewesen, bei den allermeisten Geburtshelferinnen müsse es sich um menschenfreundliche, zugewandte Wesen handeln, die sich dem schwangeren Körper und der schwangeren Seele mit Feingefühl und Verständnis nähern.
Ich hatte hier aber ganz offensichtlich ein Ausnahmeexemplar erwischt. Cordula hätte von ihrer ganzen Art her auch sehr schön ein Frauengefängnis leiten können. Sie ordnete an, ich möge mich aufs Sofa legen, und patschte die eiskalten Wehenschreiber-Pfropfen auf meinen riesigen Bauch. Als sie meinen Muttermund abtastete, kreischte ich entsetzt los.
Wenn das hier schon so wehtat, wie sollte ich denn da
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