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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Ahnung.
    Dann wurde mein Mann wieder rausgeschickt, Arzt und Hebamme legten sich beide gemeinsam auf meinen Bauch – es gibt wirklich Schöneres – und versuchten meinen Sohn herauszudrücken.
    Er steckte störrisch fest und reagierte beleidigt, indem seine Herztöne kurzfristig abfielen.
    Seltsamerweise hatte ich keine Sekunde lang Angst um unser Kind. Ich hatte vollstes Vertrauen, dass er die Sache meistern und bald gesund in meinen Armen liegen würde.
    «Wenn das Kind in zwanzig Minuten nicht kommt, machen wir einen Kaiserschnitt», sagte der Arzt.
    Ich war enttäuscht und fing an zu weinen. Tatsächlich schlich sich kurz ein Gefühl an, versagt zu haben. Acht Stunden Wehen. Alles umsonst. So war ich letztlich also zu einer ineffektiven Mischung aus natürlichem Schmerz und unnatürlicher Geburt gekommen. Von allem etwas sozusagen.
    Nach zwanzig Minuten war Schlomuckel immer noch drin. Der Arzt kam zurück, beriet sich leise mit der Hebamme und sagte kurz und endgültig:
    «Ihr Becken ist zu schmal, das Kind passt nicht durch.»
    Mein Mann meinte aufmunternd, das mit dem schmalen Becken sei doch ein wunderbares Kompliment. Eine Schwester steckte den Kopf durch die Tür und rief: «Da sind zwei Männer auf dem Flur. Die sagen, sie gehören dazu.»
    Hinter ihr winkten Patenonkel Clemens und sein Freund Olaf mir fröhlich zu.
    Ich musste wieder weinen, diesmal vor Rührung, und gratulierte mir zum wiederholten Male innerlich zur Wahl dieser hervorragenden Onkels. Einer ist Arzt, einer Jurist, da hat man in wesentlichen Bereichen des Lebens schon mal fachkundige Unterstützung.
    Die beiden sind meine besten Freunde, sie sind kinderlos und werden das – ich muss es so egozentrisch formulieren – hoffentlich auch bleiben. Ich möchte nur ungern, dass sie eigenen Nachwuchs produzieren, der sie von ihrem Patenkind ablenken könnte. Clemens und Olaf freuen sich auf Schlomo wie verrückt und planen jetzt schon Skiurlaube und River-Rafting-Touren mit ihm.
    Fünf Minuten später wurde ich zum OP gerollt. Mein Mann hielt meine Hand. Olaf hielt eine Whiskeyflasche zum anschließenden Anstoßen, und Clemens versuchte mich mit medizinischen Fachbegriffen aufzumuntern. Ich glaube, er hätte den Kaiserschnitt gern persönlich vorgenommen.
    Dann wurde ich von der Schleuse zum OP verschluckt und ließ mein altes Leben für immer hinter mir.
     
    In dem Moment, in dem du dein Baby zum allerersten Mal siehst, verändert sich schlagartig die Zeitrechnung.
    Fortan gibt es ein «Davor» und ein «Danach». Ein «Mit» und ein «Ohne».
    Meine persönliche Stunde null verbrachte ich bei gleißendem Neonlicht in einem Operationssaal.
    Links neben mir stand ein Mann in grünem Kittel, mit grünem Mundschutz und grünem Häubchen, der sich als mein eigener rausstellte.
    Rechts stand der üppig behaarte Anästhesist, zu unterscheiden durch Brille und Sachverstand. An der zweiten Hälfte meines Körpers vermutete ich zwischen zwölf und achtzehn ebenfalls grüne Personen, die sich an meinem Unterleib zu schaffen machten, abgeschirmt durch einen selbstverständlich grünen Sichtschutz.
    Es ist eigenartig: Du spürst alles, den Schnitt, das Geruckel, aber es tut nicht weh. Ich fragte den Operateur, ob er mir bei der Gelegenheit nicht gleich das Fett mit absaugen könne. Der hielt das aber für einen Scherz.
    Er sagte: «Gleich werden Sie ein leichtes Drücken und Ruckeln spüren, und dann werde ich Ihr Kind herausheben.»
    Ich schaute meinen Mann an. Ich sah nur seine Augen und lächelte ihm zu – ich war ja die einzige Person ohne Mundschutz in diesem Raum.
    Ich hatte keine Angst. Ich freute mich auch nicht. Ich war einfach nur wahnsinnig gespannt.
    In der Regel enden Geburten mit dem plötzlichen Vorhandensein eines Säuglings. Und das ist nun eine Erfahrung, auf die einen kein Kurs vorbereiten kann.
    Ich hatte folgende Standardsätze im Ohr: «Wenn das Baby da ist, ist aller Schmerz vergessen.» Oder: «Die Geburt deines Kindes ist der schönste Moment deines Lebens.» Oder: «Du bist überwältigt vor Glück.»
    Johanna hatte mir jedoch gestanden, dass sie bei der Geburt ihres ersten Sohnes überhaupt nicht überwältigt gewesen war. Jedenfalls nicht vor Glück.
    Denn so ein Neugeborenes sei erstens kein rundum erfreulicher Anblick, und zweitens, wie der Name schon sagt, ist es neu. Man kennt sich noch gar nicht richtig – und soll sich schon lieben? Johanna musste sich erst an ihren Sohn gewöhnen, der sie in seinen ersten

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