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Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition)

Titel: Unter dem Herzen: Ansichten einer neugeborenen Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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überhaupt eine einzige Wehe überstehen?
    «Geburten tun nun mal weh», sagte Cordula, die Herzlose. «Viele Frauen, die nachher überall rumerzählen, dass sie ganz besonders entsetzliche Schmerzen gehabt hätten, hatten aus meiner Sicht nichts anderes als eine ganz normale Entbindung. Und ich muss es schließlich wissen, ich habe ja im Gegensatz zu denen die Vergleichsmöglichkeiten. Achtung, jetzt tut’s gleich noch mal weh.»
    Ich schrie. Mir sank der Mut.
    Hebamme Cordula schaute mich überrascht an.
    «Merken Sie denn nichts?»
    «Natürlich merke ich was! Sie haben mir wehgetan!»
    «Nein, das meine ich nicht. Ihr Muttermund ist vier Zentimeter geöffnet, und Sie haben regelmäßige Wehen. Mit diesem Befund würde ich mich an Ihrer Stelle ins Krankenhaus bewegen.»
    Schlagartig sank mein IQ in den radikal einstelligen Bereich, mein Wortschatz schmolz dahin, ich glotzte ins Nichts wie eine trächtige Kuh und sagte: «Hä?»
     
    Zwei Stunden später saß ich neben meinem Mann im Auto auf dem Weg ins Altonaer Krankenhaus. Schwiegermutter und Tante Hilde waren informiert, die besten Freunde per SMS benachrichtigt, die Kliniktasche zweimal aus- und wieder eingepackt. Gegen die Aufregung hatte ich ein Glas Champagner getrunken. Meinem Mann hatte ich nichts eingeschenkt. Mir war wichtig, dass wenigstens einer von uns die Geburt nüchtern erlebte.
    Da die Zeit nicht drängte, hatte ich mich sogar noch leidlich herrichten können: duschen, Haare waschen, föhnen und stylen, Wimpern tuschen. (Die wasserfeste Tusche, denn mir stand ja angeblich der glücklichste Moment meines Lebens bevor – nicht auszuschließen, dass ich würde weinen müssen.) Parfüm ließ ich mal lieber weg, denn ich wollte, dass sich mein Baby an meinen Geruch und nicht an den von Marc Jacobs gewöhnte.
    Auf der Fahrt war ich noch recht guter Dinge. Vier Zentimeter bereits geschafft ohne eine einzige spürbare Wehe! Ich war beeindruckt von meiner Schmerzresistenz, plante eine Großfamilie und versuchte meinen nervösen, blassen Mann mit fragwürdigen Scherzen zu beruhigen.
    Im Krankenhaus meldeten wir uns gemütlich an und begrüßten Cordula. Mein Mann verstand sich übrigens sofort hervorragend mit ihr. Vielleicht, weil sie sich als Seelenverwandte erkannten, es kann aber auch sein, dass er einfach keinen Sinn darin sah, eine Charakterdebatte vom Zaun zu brechen mit einer Person, die in sehr absehbarer Zeit seinem Sohn auf die Welt helfen würde. Auch ein nachvollziehbarer Standpunkt.
    Wir hingen also in unserem Kreißsaal ab, während sich Cordula mit dem zuständigen Arzt beriet. Ich hängte mich neckisch an eines der Taue, die als Gebärhilfe von der Decke hingen, machte mehrere Fotos von meinem Begleiter, der nicht lächelte. Das tut der aber nie, weder auf Fotos noch im wahren Leben. Frage mich manchmal, warum der überhaupt Zähne putzt. Sieht man ja eh nicht.
    Alles also easy. Bis Cordula sagte, sie würde jetzt die Fruchtblase sprengen, um die Geburt voranzubringen. Mein erbleichender Mann verließ mit meiner ausdrücklichen Genehmigung so lange den Raum.
    Zehn Minuten nach der Sprengung – ein unnötig dramatischer Begriff für eine relativ harmlose Sache – begannen die Wehen – ein unnötig harmloser Begriff für eine relativ dramatische Sache.
    Ich hatte jedenfalls relativ schnell genug von den Dingern. Und da ich ja bereits im Vorfeld sämtlichen Angestellten des Krankenhauses – vom Chefarzt bis zum Pförtner – klargemacht hatte, dass ich eine Narkose ohne Homöopathie-Diskussionen genau dann haben will, wenn ich danach schreie, stand schon wenige Minuten später ein stark behaarter Anästhesist im Raum.
    Ich begrüßte den Mann überschwänglich wie einen verloren geglaubten Sohn. Mein eigener Mann verließ erneut den Raum. Er tut sich irgendwie schwer mit Blut und langen Spritzen, die zwischen Rückenwirbel gestochen werden. Eine Viertelstunde später ließen die Schmerzen nach.
    Die folgenden vier Stunden gab ich mir redlich Mühe. Drücken, Pressen, Atmen usw. Aber aus unerfindlichen Gründen weigerte sich Schlomo, den Mutterleib auf dem dafür vorgesehenen Weg zu verlassen.
    Gegen zweiundzwanzig Uhr saßen Chefarzt und Hebamme grübelnd zwischen meinen Beinen und betrachteten die Szenerie.
    Die Hebamme sagte: «Man sieht den Kopf.»
    Der Chef sagte: «Warum kommt der denn nicht raus?»
    Mein Mann flüsterte mir zu: «Gleich hast du’s geschafft.»
    Und ich dachte: Hier hat ja wohl überhaupt keiner irgendeine

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