Unter dem Räubermond
hoffe, dass von unserer ehemaligen Macht noch etwas übrig ist …«
Ulqar hielt inne, suchte nach etwas auf dem Pergament.
»Und gegen wen ziehen wir zu Felde, Herrscher?«
»Gegen den Palmenweg natürlich«, antwortete Ulqar, ohne aufzublicken. »Ich denke, der Aufstand dort wird sehr bald losbrechen … Eigentlich war das alles vorherzusehen …«
»Und was ist mit Scharlach?«
»Wie gehabt. Nur eine Korrektur.« Der Herrscher hob den Blick der unbarmherzigen, schwarz umschatteten Augen. »Jetzt brauche ich ihn eher tot als lebendig … Und noch eins. Verhafte deinen Sekretär. Wie auch den Sekretär des ehrwürdigen Alras. Damit fangen wir an.«
Tamsaa entspannte sich sogar ein wenig, als er diesen Befehl hörte.
Ulqar schaute ihn an und lächelte unfroh. »Ich bin mir allerdings nicht sicher, dass du diese beiden talentierten jungen Männer jetzt ausfindig machen kannst«, fügte er spöttisch hinzu.
Wo, wenn nicht in Ar-Kahirabas Schatten, können sich bei einem Krug guten Weins so unterschiedliche Leute zusammenfinden! Neben der kahlen Platane, die die Borke abgeworfen hatte, war wieder ein teurer kimirischer Teppich ausgerollt worden, auf den man das niedrige Tischchen mit den Skorpionbeinen gestellt hatte. Auf dem gepflasterten Innenhof spazierten nach wie vor die perlgrauen Turteltauben, nur dass man aus dem Haus zwei Stühle gebracht hatte. Auf einem davon thronte finster, mit ziegelrotem Gesicht der ehrwürdige Chaïlsa, auf dem anderen der ebenfalls ziemlich unzufriedene Richter Ar-Maura. Der dritte Gesprächspartner hatte es sich auf kimirische Art auf Kissen bequem gemacht. Der Wirt, der ehrenwerte Oido, tauchte von Zeit zu Zeit lautlos auf und stellte einen neuen Krug oder eine Schüssel mit Früchten und anderen Happen hin.
»Das ist gegen meine Regeln«, verkündete der Karawanenführer mürrisch, ohne jemanden anzuschauen, »aber die Regeln sind von Anfang an verletzt worden, und ich bin mir keiner Schuld bewusst. Darum, um Scharlach zu erledigen – ich bitte um Verzeihung«, berichtigte er verärgert und schielte zu dem dritten Gesprächspartner hin, »den falschen Scharlach also –, ist mir jeder Verbündete recht, wenn er nur Nutzen bringt. Ich habe diesem Dreckskerl gar zu viel anzukreiden … Und was sagst du, Ehrwürdiger?«
Der massige Richter seufzte, krächzte, bewegte die Brauen. »Eigentlich«, begann er widerwillig, »habe ich das nicht zu entscheiden. Wie du weißt, bin ich hier nur, weil ich in Ungnade gefallen bin …«
»Seltsam«, bemerkte der Karawanenführer angewidert und verzog die dicken Lippen. »Ein Schiff auszurüsten und sich auf Befehl des Herrschers auf Fahrt zu begeben würde ich als höchste Gnade betrachten …«
»Ich bin kein Militär, ich bin Beamter«, erinnerte ihn der Richter trocken. »Und ich meine, jeder sollte das Seine tun. Wenn man dir, Ehrwürdiger, dein Schiff wegnehmen und dich zum Richter bestimmen würde, wärst du wohl auch kaum begeistert! Und was meine Meinung angeht … Natürlich hat die Beteiligung des ehrenwerten Scharlach an unserem Unternehmen Sinn. Wer, wenn nicht er, sollte alle Tricks und Schleichpfade der …« Richter Ar-Maura hatte offensichtlich »der Räuber« sagen wollen, sich aber überlegt, dass das Wort unhöflich war und auch dem Edikt widersprach. »Aber das Angebot des ehrenwerten Scharlach kommt mir etwas … überraschend vor. Nicht dass ich ihn irgendwelcher tückischer Absichten verdächtige, aber ich möchte gern die Gründe wissen …«
Der Richter und der Karawanenführer schauten den Dritten fragend an, denjenigen, der auf den Kissen saß, die Beine auf kimirische Art gekreuzt. Er zog die breiten, animalischen Brauen zusammen, spielte mit der leeren Schale und blickte finster an den anderen vorbei.
»Na ja …«, begann er schließlich mit etwas heiserem Bass. »Eigentlich bin ich mit den … Truppen nicht besonders gut Freund …« Vor dem Wort »Truppen« stockte er, und der Richter hätte wetten mögen, dass der Räuber eigentlich »mit den Nacktfressen« sagen wollte, sich aber rechtzeitig eines anderen besann. »Aber so, wie die Sache liegt … Kurzum, ich habe auch gewisse Rechnungen mit ihm zu begleichen …«
»Also das ist schon merkwürdig«, bemerkte der Richter mit hochgezogenen Brauen und bedachte den Räuber mit einem irgendwie sonderbaren Blick. »Ich kann den ehrwürdigen Chaïlsa verstehen: Ar-Scharlachi hat eine Meuterei auf seinem Schiff angezettelt, was den Zorn des Herrschers nach
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