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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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in der Formulierung. »Nicht bei Laune.« Ebenso hätte man auf einen Sandsturm den Begriff »wehen« anwenden können. Kurzum, der Herrscher war wahnsinnig geworden. Zumindest hatte ihn der ehrwürdige Tamsaa in diesem Zustand noch nie gesehen.
    »Jetzt verstehe ich!«, stieß Ulqar atemlos hervor, während er im Kabinett hin und her stürmte. »Jetzt fügt sich alles zusammen! Alles! Und du …« Er wandte sich dem Ehrwürdigen zu und stieß wütend den Finger in die Luft. »Wenn sich herausstellt, dass du mit ihnen gemeinsame Sache machst …«
    »Mit wem, Herrscher?«
    Ulqar hörte nicht zu. Seine tief liegenden Augen, voller Entsetzen und Zorn, huschten bald über die Seidenstoffe, lila wie die Dämmerung, bald bohrten sie sich in den Haufen Pergamentrollen auf dem Tisch, in den gläsernen Leuchter aus Kimir, in den vor Angst fassungslosen Würdenträger.
    »Ja sicher doch …«, sagte Ulqar tonlos, und seine Finger tanzten sinnlos in der Luft. »Das ist ihr Mann! Er hat ihnen von Anfang an gedient … Sonst hätten sie ihn einfach verbrannt! Haben sie aber nicht! Denk nur, sie haben sich geweigert, ihn auszuliefern!«
    Unvermittelt fegte der Herrscher die Pergamentrollen mit den noch nicht fertig geschriebenen Gesetzen vom Tisch, erwischte dabei auch den gläsernen Leuchter. Klirren und Poltern wurden vom Teppich gedämpft, blieben aber nicht unbemerkt.
    »Was ist?!«, schrie Ulqar die Wachen an, die ins Zimmer gerannt kamen und sofort wieder zurückwichen. »Raus hier!«
    Mit der schwarzen Seide raschelnd, zogen sich die vier Muskelpakete eilends zurück, und der Herrscher ließ sich kraftlos auf den Stuhl mit der hohen geschnitzten Lehne sinken.
    »Also«, sagte er nach langem Schweigen, die trockenen Lippen spöttisch verzogen, »zuerst, wie du behauptest, haben sie Scharlach ausgewechselt …« Der Herrscher machte eine Pause und bedachte den Würdenträger mit einem strengen fragenden Blick.
    »Das behauptet der ehrwürdige Chaïlsa, Herrscher«, berichtigte Tamsaa mit zitternder Stimme.
    »Egal … Dann die Meuterei. Eine Meuterei am zweiten Tag der Fahrt! Dann drei Scharlachs gleichzeitig …! Man hat den Eindruck, dass sie sich in Windeseile von Harwa bis Kimir vermehrt haben! Der Überfall auf Sibra, während die Flotte versucht, Scharlach in Turkla zu fassen …! Sag, Ehrwürdiger, schon allein von dieser Aufzählung ausgehend – findest du nicht, dass sich jemand vorgenommen hat, mir um jeden Preis den Weg zum Meer zu verwehren …? Was schweigst du?«
    »Herrscher … Wenn du glaubst, dass dahinter Söldlinge Kimirs stecken …«
    Mit einer Grimasse von Abscheu winkte Ulqar mit der schlappen weißen Hand ab, und der Ehrwürdige verstummte ängstlich.
    »Eigentlich braucht man gar nichts aufzuzählen«, sagte der Herrscher müde, rieb sich Augen und Stirn. »Sie verheimlichen gar nichts mehr. Auf der Flucht steuert Scharlach das Schiff furchtlos (wohlgemerkt: furchtlos!) zu den nickenden Hämmern, und dann taucht er bei Ar-Nau auf … Heil und unversehrt. Und gegen unsere Schiffe wird ein Schlag geführt … Und die Hauptsache … ja, die Hauptsache …«
    Ulqars Stimme ging in ein Murmeln über und verstummte; der Herrscher beugte sich vor, bedeckte die Augen mit einer Hand. Tamsaa betrachtete ihn verzweifelt. Schließlich nahm Ulqar die Hand weg, schaute den Ehrwürdigen an und kicherte plötzlich.
    »Ja!«, sagte er, für eine Sekunde wieder der frühere einschmeichelnd spöttische Ulqar. »Jetzt sehe ich, dass du unschuldig bist. Einen derart dummen Gesichtsausdruck bekommt man beim besten Willen nicht absichtlich hin …«
    Tamsaa rang sich eine Art Lächeln auf seinem erstarrten Gesicht ab.
    »Nun denn …« Ulqar stand auf, straffte sich, stützte sich mit den Knöcheln der rechten Hand auf die Tischkante. Hager, gerade, seinen eigenen zahlreichen Statuen ähnlich, stand der Herrscher da, das Kinn leicht angehoben und hochmütig in irgendeine Ferne schauend. »Also Krieg. Nur eins haben sie nicht beachtet …« Er blickte ihm aufmerksam und, wie es dem Ehrwürdigen schien, herausfordernd in die Augen. »Ich bin ja nicht mehr derselbe wie früher. Ja, ja! Nicht wie früher, Tamsaa …! Und ich weiß, was ich zu erwarten habe … In dieser Zeit, glaub mir, habe ich über sie viel mehr herausgefunden als sie über mich …«
    Nach diesem rätselhaften Satz winkte er den Würdenträger näher heran, entfaltete eine Karte und fuhr fast ruhig fort: »Versetze alle Truppen in Kampfbereitschaft. Ich

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