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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Sandkörnchen zugeweht. Genauso wie beim letzten Mal riss sich Ar-Scharlachi zusammen und zog den Schleier über das schwere, erdfarbene Gesicht mit den silbrigen Bartstoppeln, die in schuppigen Falten übereinanderlagen. Langsam richtete er sich auf.
    »Verzeih …«, flüsterte er heiser, nachdem er mit Mühe die zusammenklebenden Lippen gelöst hatte. »Es hat sich halt so ergeben …«
    Er hob den Blick und sah, dass sich ringsum gut die halbe Mannschaft des Samum eingefunden hatte. Die Leute standen schweigend da, wandten dem Anführer die gespannten, beunruhigten Gesichter zu.
    »Wo …?«, fragte Ar-Scharlachi abgehackt und begann sich umzuschauen.
    Aliyat stand zwei Schritt von ihm entfernt; seltsam, dass er sie nicht sofort bemerkt hatte. Ihre dunklen, zusammengekniffenen Augen blickten herausfordernd. Herausfordernd …? Nein, nicht nur herausfordernd. Mit leichter Verachtung, vermischt mit Bedauern. So kam es ihm jedenfalls vor.
    »Du …«, stieß er kehlig hervor und verstummte.
    Du hast mir die Würgeschlinge übergeworfen … Du hast mich in dieses üble Spiel hineingehetzt … Du hast mich in Turkla nicht gehen lassen … Du willst mit meinen Händen den Palmenweg in Brand setzen, du willst aus mir ebenso einen Schurken wie Ulqar machen … Und jetzt hast du Ar-Maura ermordet … Du! Du! Du …
    »Aber an Riybra erinnerst du dich?«, erklang ihre träge, etwas spröde Jungenstimme und hallte in seinen Knochen als zitternder Hass wider. »Wenn er dir diesen Krug nicht gestohlen hätte, hättest du selber blau angelaufen in deiner Kajüte gelegen …«
    Blau angelaufen … schwarz … Er erinnerte sich mit Entsetzen an das Knistern des verkohlten Fleisches, und wie der zu Kohle verbrannte Leichnam gezuckt hatte, als wolle er sich erheben … »Genug«, hatte Aliyat damals gesagt. »Soll er rauchen …« Und dann kam die Erinnerung wie ein Erdrutsch. Die Meuterei auf dem Samum , der knirschende Schlag mit dem Haumesser, der verzweifelte Griff der im Todeskampf in den Ärmel verkrallten Finger, das abbrechende Geheul wie ein Sandhase: »Scharlach! Scharlach! Scharlach …!« Und da heulten schon emporschießend die hellen Flammen über dem Hafen von Sibra, und der gegen die Trennwand gepresste junge Räuber zog sich mit kläglichem, irrem Lächeln die schmale Klinge durch die Kehle … »Da hat er Angst vor dir gekriegt. Der kleine Dummkopf …«
    Der Richter Ar-Maura blickte mit heimlichem Lächeln reglos in den vor Glast dunklen Himmel.
    »Ergreifen«, brachte Ar-Scharlachi heiser hervor. »Entwaffnen …«
    Die Menge kam in Bewegung, der Wind erfasste den von den Füßen aufgewirbelten Sand, die Düne begann gleichsam zu rauchen. Ard-Gew und noch ein paar Mann zogen die Messer und stellten sich Rücken an Rücken, anscheinend, um Aliyat zu verteidigen. Die übrige Menge begann zu knurren, ging auf Ard-Gew und seine Leute zu, zog ebenfalls hinter den Gürteln Dolche und Haumesser hervor.
    »Waffen weg!«, hörte Ar-Scharlachi seine eigene, vor Wut klingende Stimme.
    Der Stahl erzitterte wie ein Kräuseln auf Wasser, verschwand in den breiten Falten der weißen Kittel. Furchtsam den vorwärtsschreitenden Anführer anschauend, wichen Ard-Gews Leute zurück, und Aliyat wurde ergriffen. Die dunklen, zusammengekniffenen Augen betrachteten Ar-Scharlachi jetzt mit beunruhigter Verwunderung, und das rief bei ihm einen neuen Ausbruch von Hass hervor.
    »Alles deinetwegen!«, schleuderte er ihr atemlos entgegen. »Kobra!«
    »Meinetwegen!«, erwiderte sie. »Wer wärst du denn jetzt, na? Ein Mistkäfer …? Mach keine Dummheiten. Du gehst unter. Ohne mich gehen alle unter …«
    » Mit dir gehen alle unter!«, knirschte er. Er ruckte krampfhaft mit dem Kopf, schaute wieder zu Ar-Maura hin. »In einen Teppich wickeln und mitnehmen. Wir begraben ihn in Ar-Ajafa.«
    »Und was wird mit ihr?«, fragte Aitscha finster. Er wagte weder den Anführer noch Aliyat anzuschauen.
    »In den Sand! Bis zum Hals!«
    Alle erstarrten. Man hörte, wie der Wind raschelte, der über die Kämme der Dünen strich.
    »Soll ich es sagen?«, fragte Aliyat mit leiser Drohung und schaute Ar-Scharlachi geradezu an.
    Er stutzte, verstand gar nicht gleich, was sie meinte. Aliyat grinste unter dem Schleier und betrachtete triumphierend die gespannt erstarrten Gesichter.
    »Das ist nicht Scharlach!«, erklärte sie mit einem nervösen Lachen. »Das ist Ar-Scharlachi. Und der echte Scharlach hat eben erst auf der Postgaleere vor euch das Weite

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