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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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natürlich. Oder vielleicht steht er sogar in ihren Diensten, bei den Treibern … Ohne ein Wort zu sagen, haut er mir in die Visage! Ich ihm natürlich auch … Sie fesseln uns beide – und in den Keller. Und die Treiber wollen gar nichts davon gewusst haben … Am Morgen kommt dieser, der Schmächtige … Aïlscha? Ja, Aïlscha. Der hat vielleicht krakeelt! Ein Irrtum, sofort freilassen! Schöner Irrtum: Sieben von unseren Leuten haben bei ihm die ganze Nacht über festgesessen … Wir kommen in den Hafen gelaufen, aber da ist kein Samum mehr, kein Skorpion …«
    »Du warst empört?«, erkundigte sich Ar-Scharlachi mitfühlend.
    »Na, am Anfang schon, klar. Aber dann dachte ich mir: Scharlach kann doch nicht einfach so losgefahren sein und seine Leute im Stich gelassen haben! Also gab es irgendeinen Grund … So war es dann auch.« Iliysa machte eine Pause, hüstelte. »Und dass … stimmt es, dass Lako …«
    »Stimmt«, sagte Ar-Scharlachi abgehackt, ohne zu Ende zu hören.
    Sie schwiegen.
    Iliysa nickte finster. »Schade«, sagte er. »Es heißt, er ist unter die nickenden Hämmer geraten?«
    »Das erzähle ich später«, erwiderte Ar-Scharlachi. »Was ist denn nun in Sibra los?«
    »In Sibra?« Iliysa zögerte. »Ein Gemetzel ist in Sibra. Dort wohnen ja jede Menge von unseren Leuten und auch von den Nacktfressen. Also letzte Nacht gab es da Lärm, Getöse, Fackeln … Sie hatten den Palast des Richters angesteckt … Und da ging es los. Wir waren gerade erst aus Turkla gekommen. Der Hafen war noch verbrannt, schwarz … Ich höre Rufe: ›Scharlach, Scharlach!‹ Ich denke: Hat er womöglich wieder einen Überfall vor? Ich greife mir einen, frage: ›Wo ist Scharlach? Hier?‹ – ›Nein‹, sagt er. ›Der führt jetzt den Aufstand in Ar-Ajafa …‹«
    »Was?!«
    Beide starrten einander verständnislos an.
    »Vorige Nacht«, sprach Ar-Scharlachi langsam, »war ich noch unterwegs nach Ar-Ajafa. Und ich hatte nicht vor, einen Aufstand anzuführen … Was geht hier vor, Iliysa?«
    Iliysa stieß einen unbestimmten Laut aus und zuckte mit einer seiner breiten Schultern. »Das Gerücht über dich ist durchgekommen.« Es war eher eine Vermutung als eine Antwort. »Und Gerüchte, weißt du, sind so eine Sache …«
    »Ja, aber woher haben sie erfahren, dass ich nach Ar-Ajafa unterwegs war?«
    Iliysa warf dem Anführer einen langen forschenden Blick zu, dann wandte er verdrossen den Blick ab. Er war sich sicher, dass die Bewohner Sibras alles von Scharlach selbst erfahren hatten. Doch wenn Scharlach aus irgendeinem Grund beschlossen hatte, das nicht zuzugeben – nun, er musste es besser wissen. Dafür war er der Anführer.
    Draußen hinter den Stampflehmwänden war schon seit einiger Zeit ein gedämpftes Brodeln zu hören, ab und zu von halblauten Befehlen durchschnitten. Zweifellos drängten sich auf dem weinumrankten kleinen Hof und auf der Straße vor dem Haus Dutzende, womöglich sogar Hunderte von Menschen, unterhielten sich flüsternd und besorgt.
    Schließlich hielt es Iliysa nicht mehr aus. »Höre«, sagte er. »Dort warten sie auf dich, und du quasselst hier mit mir … Du solltest zu ihnen gehen, sonst, wer weiß …«
    Ar-Scharlachi warf ihm einen finsteren Blick unter gesenkten Brauen hervor zu. Man erwartete ihn, das hatte er selbst schon erraten. Aber aus diesem Zimmerchen dort hinaus zu der Menge zu gehen, das machte ihm, ehrlich gesagt, Angst. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Ar-Scharlachi seufzte resigniert und erhob sich von den Kissen.
    Die folgenden Ereignisse prägten sich seinem Gedächtnis nur bruchstückhaft ein. Das schreckliche, triumphierende Geschrei der Menge auf dem Marktplatz. »Scharlach! Scharlach!« Irgendwelche Greise in wehenden weißen Lumpen warfen sich ihm zu Füßen. Wie böse Monde leuchteten die kahlen Schädel der Priester, auf Stangen wurden gehörnte Kamelköpfe hochgehalten. Irgendwelche stämmigen, finster dreinblickenden Leute, mit Waffen behängt, schlugen sich mit der offenen Hand ans Herz und brüllten Schwüre. Dann rollten sie unheimlich mit den Augen, wandten sich gen Norden und drohten Harwa mit der Faust. Und gleich neben Ar-Scharlachi strahlten finster und sanft die unablässig auf ihn gerichteten Augen Aliyats.
    Dieser Wahnsinn dauerte fast bis zum Mittag. Dann fand er sich wieder im selben Zimmerchen, nur dass man sich diesmal nicht rühren konnte. Von den Leuten, die auf dem Teppich Platz genommen hatten, kannte Ar-Scharlachi nur Aliyat und Iliysa.

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