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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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habe einfach eine Rechtfertigung für sie gesucht und gefunden … Ich kann es nicht! Nicht einmal durch fremde Hände kann ich es … Aber sie kann es! Sie kann … Ar-Maura … Ach, Ehrwürdiger, wie dumm das alles ist, wie falsch …
    Ar-Scharlachi schluchzte auf, biss die Zähne zusammen und drückte das Gesicht an das flache Kissen. Vor dem niedrigen Fenster regte sich Laub, ins schwache Licht des jungen Mondes getaucht, und man hörte die Rufe der Nachtwache; gelegentlich klirrten Waffen. Der aufrührerische Schatten schlief wachsam, mit einem offenen Auge.
    Und wieso wird sie mich ins Verderben stürzen? Sie hat es doch schon getan! Wenn ich damals einen geringfügig anderen Befehl gegeben hätte, sie dort auf der Düne hätte erwürgen lassen … Sie hätten es ja getan … Hätten den Schleier heruntergerissen, und straff über die Kehle, wie gewohnt … Tja, weiser Gojen! Du hast mich ein paar Jahre lang unterrichtet, hast gesagt, dass Töten eine unwürdige Tat ist, dass man, wenn man einen Menschen umbringt, sich selbst tötet … Und sie hat ganze zwanzig Tage gebraucht, um einen Mörder aus mir zu machen … Zwanzig Tage? Nein, weniger … Zum Mörder bin ich schon in jener Nacht auf dem Samum geworden …
    Er hörte, wie durch die enge, gewundene Gasse, nach dem gedämpften Stimmengewirr und dem Klirren von Metall zu urteilen, eine ziemlich große Abteilung entlangging. Ein paarmal glaubte er das Wort »Scharlach« zu hören.
    Jetzt auch noch das aufständische Ar-Ajafa … Fortgehen heißt Verrat. Verrat an den Menschen, die an dich glauben. Oder nicht einmal an dich – an einen gewissen Scharlach, den es einfach nicht gibt und nie gegeben hat … Und bleiben heißt wieder Blut … und höchstwahrscheinlich Tod … Übrigens deinen Tod, Ar-Scharlachi, nicht irgendjemandes anderen …
    In dem engen Schlafgemach wurde die Tür lautlos geöffnet und geschlossen. Er hörte es nicht und sah es nicht, er spürte einfach mit der Haut die Luftbewegung. Jemand näherte sich seinem Bett und ließ sich daneben nieder. Eine kleine, sanfte Hand berührte seine Schläfe, glitt über die Wange …
    »Geh fort«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
    »Warum?«, flüsterte sie erschrocken.
    »Ich glaube dir nicht.«
    »Warum?«
    Er richtete sich abrupt auf einem Ellbogen auf. »Nun sag doch ehrlich, Aliyat: Du hast doch gelogen? Wolltest einfach leben – und fertig! So ist es doch?«
    »Nein«, raschelte es kaum hörbar in der Dunkelheit. »Ich liebe dich wirklich …«
    Er lachte auf, trocken und böse. »Ich habe also befohlen, dich im Sand einzugraben – und sofort hast du dich in mich verliebt?«
    »Ja«, antwortete sie leise und entschuldigend. »Vorher habe ich überhaupt nicht gedacht, dass du ein Mann bist.«
    »Tjaa …«, sagte der verblüffte Ar-Scharlachi schließlich gedehnt und ließ sich wieder aufs Bett sinken. »Wenn das der weise Gojen hören würde …«
    »Wer ist das?«, flüsterte sie, wenn auch ohne besonderes Interesse, während ihre kleine Hand schon seine Brust erreicht hatte.
    »Lass das«, sagte Ar-Scharlachi mürrisch und nahm ihre Hand weg. »Bloß nicht heute …«
    Aliyat holte geräuschvoll Luft. »Später wird keine Zeit mehr dazu sein«, erklärte sie gekränkt.
    »Wieso denn das?«
    »Aus Ar-Nujer ist Verstärkung gekommen. Und dann noch ein Postschiff aus Sibra.«
    »Was denn für eine Verstärkung?«, fragte er, schon im Voraus entsetzt.
    »In Ar-Nujer ist ja auch Aufruhr«, erklärte sie. »Und in Ar-Nau, in Sibra …«
    »Und warum dort?«, brachte Ar-Scharlachi mit Mühe hervor.
    »Ich weiß nicht. Sie wollten dich erst wecken, dachten dann aber, dass es keinen Sinn hat … Du brauchst morgen einen klaren Kopf …«
    Mit der Postgaleere aus Sibra war ein alter Bekannter eingetroffen – der Kommandeur der Spiegelkämpfer Iliysa. Ar-Scharlachi, verwirrt und von den jüngsten Ereignissen ganz erschlagen, empfing den Meister des Spiegelkampfes, sobald er von seiner Ankunft hörte.
    Iliysa hatte sich überhaupt nicht verändert. Immer noch so gemächlich und ausweichend in seinen Urteilen, schaute er seinen Anführer aufmerksam und gleichsam verwundert an und antwortete stets erst nach kurzer Überlegung. Die etwas brüchige tiefe Stimme, die bekannte rosa glänzende Brandnarbe an der Schläfe.
    »Schakale sind diese Treiber«, erzählte Iliysa ohne Eile. »Der eine wie der andere. Ich sitze im Freudenhaus, tue niemandem etwas. Irgendein Räuber kommt auf mich zu, bestochen

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