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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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gegeben? Woher kamen die Waffen einschließlich der nie gesehenen Spiegelschilde, die das Sonnenlicht auf gut hundert Schritt Entfernung sammelten? Warum wussten die Anführer genau, dass sie nach Ar-Ajafas Schatten gehen mussten, wo sie angeblich der geheimnisvolle Scharlach erwartete, bereit, die Aufständischen gegen das verhasste Harwa zu führen?
    Diese Fragen zu stellen blieb einfach keine Zeit.
    Nachdem er den ehrwürdigen Chaïlsa ein gutes Stück von der Oase fortgetrieben hatte, signalisierte Ar-Scharlachi der Düne den Befehl anzuhalten und auf die zurückgebliebenen beiden Galeeren und das Segelschiff zu warten. Die Verfolgung fortzusetzen hatte keinen Sinn. Erstens war irgendwo in ihrem Rücken noch Scharlachs Postgaleere, und zweitens war es an der Zeit herauszufinden, was denn nun eigentlich vor sich ging. Außerdem bestand Aliyat wütend auf sofortiger Rückkehr. Der Gedanke, dass ihr ehemaliger Liebhaber entwischt, ihr sozusagen direkt aus den Händen geglitten war, brachte diese Kobra zur Raserei. Ar-Scharlachi hatte keinen Grund, seinem Namensvetter Gutes zu wünschen, doch wenn er Aliyat anblickte, begann ihm jener unwillkürlich leidzutun.
    Im hellgrünen, mit einem silbernen Schriftzug verzierten Heck der Düne öffnete sich eine Luke, und auf den mittäglich blendenden Sand sprangen mehrere Leute in weißen Kitteln. Alle mit Schleiern, keine einzige Nacktfresse. Unter ihnen stach ein gewaltiger, massiger, leicht hinkender Mann hervor, der irgendwie dem Richter Ar-Maura ähnelte. Die Ähnlichkeit wurde in dem Maße, wie sie dem Samum näher kamen, immer frappierender, bis Ar-Scharlachi schließlich mit einiger Erschütterung begriff, dass es tatsächlich der Richter höchstselbst war. Der Ehrwürdige ließ ein wenig den Kopf hängen, und es kam unwillkürlich der Verdacht auf, er komme nicht aus eigenem Willen.
    Ar-Scharlachi hatte diesen Gedanken noch nicht vollends gefasst, als neben ihm Aliyat schadenfroh zu lachen begann. »Schau!«, rief sie voller Begeisterung. »Schau, wen sie da bringen! Das ist doch dein Kumpel, der dich Ulqar untergeschoben hat! Ach, der Waran! Hat dich nicht nur verraten und auch noch vergiften wollen, sondern sich obendrein dem Karawanenführer angedient! Die Wüste ist klein …«

28
    Verzeih, es hat sich halt so ergeben
    S ie standen sich auf dem Deck des Samum Auge in Auge gegenüber, zwei Erben und Nachkommen von Gebietern des Palmenwegs, beide groß gewachsen, breitschultrig, stattlich. Der Richter allerdings älter, massiger und leicht hinkend, aber alles in allem vom selben Schlage. Der heiße Wind riss an den weißen Kitteln.
    »Und wie gedenkst du mit mir zu verfahren?«, fragte der Richter und blickte Ar-Scharlachi furchtlos in die Augen.
    »Ich weiß noch nicht«, knurrte der und wandte finster den Blick ab. Seltsam, aber Hass auf den tückischen Ar-Maura empfand er nicht. Zorn und wohl auch Verlegenheit – das waren alle Gefühle, die diese unerwartete Begegnung hervorrief.
    »Du schwankst: mich an einer Rah aufknüpfen oder im Sand eingraben?«
    »Am besten beides …«, sagte Ar-Scharlachi mit Nachdruck und betrachtete den Ehrwürdigen unter gesenkten Brauen hervor. »Erst eingraben und dann aufknüpfen. Oder umgekehrt …«
    Ar-Maura wollte wohl vor seinem Tod noch eine Dreistigkeit anbringen, doch unversehens sackten seine massigen Schultern herab, und die großen, leicht hervorquellenden Augen füllten sich mit Wehmut und Müdigkeit.
    »Du hast das Recht, mir nicht zu glauben«, begann der Richter hilflos, »aber ich freue mich für dich. Erinnerst du dich an unser Gespräch, bevor das alles geschah? Ich habe gewartet, gehofft, dass wenigstens irgendeiner von uns Ulqar herausfordert … Und nun habe ich es erlebt …« Er lächelte und schaute Ar-Scharlachi in die Augen. »Seltsam … Mir wäre damals nie in den Sinn gekommen, dass du es sein könntest.«
    »Woher denn! Mir deiner Hilfe …«
    »Übrigens, wenn diese Geschichte nicht passiert wäre«, bemerkte der Richter, »dann würdest du heute noch den Holm schieben …«
    »Ein Wohltäter …«, brachte Ar-Scharlachi langsam hervor. »Das heißt, du hast das alles mir zuliebe angezettelt?«
    »Hör mal«, sagte der Richter. »Ich weiß, dass das von außen betrachtet alles ziemlich niederträchtig aussah. Aber ich habe ja für dich getan, was ich konnte, erinnere dich! Und du hast im Grunde Scharlach zur Flucht verholfen …«
    »Von wegen verholfen! Mit einer Würgeschlinge am Halse!« Und

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