Unter dem Räubermond
Ich sag’s der Mannschaft – die reißt ihn in Stücke!«
»Aber jetzt raus hier!«, knirschte Ar-Scharlachi.
Aliyat schlug die Tür zu.
»Tjaa …«, sagte der Richter gedehnt und betrachtete seinen Zechgenossen mit Respekt und Mitgefühl. »Wie wirst du denn mit der fertig?«
»Man hat zu tun, um mit ihr fertigzuwerden …«, knurrte Ar-Scharlachi und goss den Rest des Weines in die Schalen. »Du hast immer noch nicht geantwortet.«
»Wieso? Ich kann nur wiederholen: Ich habe dir keinen Wein auf den Samum geschickt.«
Wieder wurde an die Tür geklopft, diesmal aber höflich auf Antwort gewartet.
»Herein«, sagte Ar-Scharlachi.
Es war Aitscha.
»Aliyat lässt ausrichten: Staub am rechten Steigbügel«, meldete er mit einem finsteren Blick auf den Richter und den Krug.
»Großer?«, fragte Ar-Scharlachi und stand auf.
»Ungefähr vier Schiffe.«
»Ich komme sofort.«
»Ä-hm …« Aitscha blickte fragend zu dem ehrwürdigen Ar-Maura hin.
»Der Richter bleibt hier. Stellt eine Wache vor die Tür. Gehen wir.«
Der Staub kroch aus Richtung von Ar-Nujers Schatten heran und konnte von wem auch immer aufgewirbelt werden. Wäre es in der Umgebung von Turkla gewesen, hätte Ar-Scharlachi geschlussfolgert, er habe es mit einer Händlerkarawane zu tun. Doch die Kaufleute aus dem Palmenweg zogen es in letzter Zeit vor, aus steuerlichen Gründen nicht mehr als eine Galeere auszurüsten.
Hinsichtlich der Geschwindigkeit stand die unbekannte Karawane deutlich hinter den Schiffen der Aufständischen zurück, und nachdem er eine Zeit lang die sich windenden Sandmähnen betrachtet hatte, ging er wieder hinunter. Er sah keine Wache vor der Tür zur Kajüte des Karawanenführers, und das beunruhigte ihn. Sich gegen die Wand stützend, eilte er hin, riss an der Klinke. Die Kajüte war leer.
»Aitscha!«
»Aitscha …! Aitscha zu Scharlach!«, nahmen oben mehrere Stimmen durcheinander den Ruf auf, und bald schon kam aufgeregt der stämmige Aitscha die Treppe herangestürmt.
»Wo ist der Wachposten?«, überfiel ihn Ar-Scharlachi. »Wo ist der Gefangene? Was geht hier vor, das Kamel soll dich treten!«
»Ich … ich weiß nicht.« Aitscha blinzelte erschrocken.
»Wen hast du an die Tür gestellt?«
»Gorcha.«
»Allein?«
»Ja. Gorcha ist allein so gut wie drei.«
»Das Schiff durchsuchen!«, blaffte Ar-Scharlachi. »Wenn sich erweist, dass der Richter geflohen ist …«
»Wohin soll er denn fliehen?«, versuchte der verwirrte Aitscha den Anführer zur Vernunft zu bringen. »In der Wüste …«
Ar-Scharlachi fluchte und stürzte die Treppe hinauf an Deck. »Findet mir Gorcha! Schnell!«
Sie brauchten nicht zu suchen. Der riesige Räuber stand schon vor Ar-Scharlachi und betrachtete ihn ergeben aus den ständig entzündeten Augen.
»Warum bist du hier? Wo ist der Richter?«
Gorcha war sprachlos. »Dort …« Und er machte mit der mächtigen Hand eine Bewegung zum Heck hin.
»Was heißt ›dort‹?« Ar-Scharlachis Stimme sank zu einem Flüstern herab.
»N-na … Aliyat hat befohlen, ihn während der Fahrt auszusetzen, hat ihm Wein mitgegeben … Na, und ich … habe ihn ausgesetzt … durch die Heckluke.«
»Und was hatte ich befohlen?«
»Ja das …« Gorcha war vollends verwirrt. »Ich dachte doch, du hast es sie geheißen …«
Ar-Scharlachi stöhnte in Gedanken und kniff die Lider ganz zusammen. Das war’s, du Kobra!, dachte er finster entschlossen. Das war dein letzter Streich!
»Fertigmachen zum Wenden!«, befahl er und ging über die sich neigenden Planken aufs Deckhaus zu. »Wir fahren zurück!«
Die lückenhaften gelben Zähne gebleckt, lag Richter Ar-Maura auf dem Kamm einer Düne, und sein Gesicht hatte denselben unheimlich bläulichen Farbton wie das von Riybra, als sie ihn vor zehn Tagen tot in seiner Kajüte gefunden hatten. Wie damals lag nahebei ein umhüllter Krug; der feuchte Sand, der die Reste des vergifteten Weins eingesogen hatte, war von einer dünnen schwarzen Kruste überzogen. Der ehrwürdige Ar-Maura hatte gewusst, dass er in der Wüste in dem die Feuchtigkeit aufsaugenden Wind ohnehin nicht bis zum Abend überlebt hätte, und hatte den schnellen Gifttod vorgezogen.
Nachdem Ar-Scharlachi aus einer Seitenluke gesprungen war und sich dabei beinahe den Fuß verstaucht hätte, lief er auf die Düne und blieb vor dem Richter stehen. Der Ehrwürdige grinste schmerzverzerrt den flammenden Himmel an und erstarrte langsam in der Sonnenglut. Der Saum seines Kittels war schon mit
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