Unter dem Räubermond
Scharlach!«
»Ich bin Ar-Scharlachi«, berichtigte er verärgert. »Gleich morgen schreibe ich ein Edikt, dass sie mich nennen, wie es sich gehört! Was die sich einbilden: Scharlach, Scharlach …«
»Du bist ganz wie Ulqar«, bemerkte sie folgsam und wurde sogleich unruhig, als sie spürte, dass sich seine Muskeln spannten. »Lass, bleib liegen!«
Er befreite sich aber doch aus den sanften Schlangenringen und setzte sich auf. Das sich von Osten her nähernde Zwielicht löste die dunkle Masse des Laubes vorm Fenster schon in einzelne wie geschnitzte Lagen auf. Ar-Scharlachi ließ sich auf einen Ellbogen fallen, langte nach den Krügen, schnippte mit dem Fingernagel gegen einen tönernen Hals. »Du auch?«, fragte er, nachdem er am Klang erkannt hatte, dass der Krug voll war.
»Nein«, antwortete sie mürrisch, setzte sich ebenfalls auf und zog die Decke um sich.
Da er in der Nähe keine Schalen entdecken konnte, nahm Ar-Scharlachi einen Schluck direkt aus dem Krug. Erschrocken betrachtete er den Leuchter. »Weglaufen, weglaufen …«, murmelte er wehmütig.
»Wohin?«, fragte sie hart. »Nach Kimir? In Kimir werden sie dich sofort ergreifen. Dort haben sie alles, was dieser Dummkopf Chaïlsa angerichtet hat, dir angehängt, wusstest du das nicht?«
»Und woher weißt du es?«
»Ein Spiegelkämpfer von der Düne hat es erzählt.«
»Und woher weiß er’s?«
»Ihm haben es die Matrosen vom Salamander gesteckt. Also denk nach … Nach Harwa kannst du nicht, nach Kimir auch nicht. Wohin also?«
»Zum Meer«, warf er düster hin.
Früher wäre sie nach solchen Worten zweifellos zusammengezuckt. Jetzt lächelte sie nur unfroh. »Zu den toten Seelen?«
»Da gibt es überhaupt keine Seelen.« Ar-Scharlachi runzelte die Stirn. Er schwieg eine Weile und fügte mürrisch hinzu: »Wenn ich ein bisschen früher geboren worden wäre, wäre ich zu Aregug in die Lehre gegangen. Verstehst du, es wird immer einfacher … Die Welt – das sind einfach viele Lügen. Die Wüste ist einfach viel Erdöl. Und das Meer wird dann wohl … einfach viel Wasser sein. Nichts von einem Totenreich, nichts von Unsterblichkeit … Und so ist es mit allem.« Er seufzte und griff wieder nach dem Krug.
»Und wie kommst du hin?«, fragte Aliyat.
Ar-Scharlachi bedachte sie mit einem finsteren Blick und wurde plötzlich nachdenklich.
»Ja, weißt du«, sagte er unerwartet munter. »Eigentlich kann man sich denken, wo dieser Weg liegt …«
Er lebte auf, blinzelte. Aliyat betrachtete ihn mit müdem, verstehendem Lächeln. Sie kannte Ar-Scharlachi schon gut genug. Er brauchte nur irgendein schwieriges Rätsel zu lösen, das mit dem Leben nicht das Geringste zu tun hatte – und schon besserte sich seine Stimmung.
»Die nickenden Hämmer«, sagte er zufrieden.
Nun zuckte Aliyat doch zusammen.
»Nein, hör doch«, fuhr Ar-Scharlachi aufgeregt fort. »Na, sie pumpen Öl. Aus der Erde hervor. Ja? Und dann wohin damit?«
»Ich weiß nicht«, stieß sie hervor und hüllte sich fröstelnd in die Decke. »Und ich will es nicht wissen.«
»Aber ich weiß es schon«, erklärte er. »Ich habe dort Rohre gesehen. Solche …« Ar-Scharlachi stellte den Krug ab und bildete mit beiden Händen einen Ring, als umfasse er einen Baumstamm. »Tiangi hat gesagt, dass darin Erdöl fließt. Und sie verlaufen, wohlgemerkt, von Norden nach Süden. Der Süden aber ist Ai-Agwar, das Totenreich … kurzum, das Meer!«
»Und woraus sind die Rohre?«, erkundigte sich Aliyat unzufrieden und ungläubig.
»Auch aus irgendeinem Metall … Aber das ist doch letzten Endes unwichtig! Wichtig ist, dass sie zum Meer führen.«
»Was denn – deine ›Bemalten‹ lassen das Öl ins Meer fließen?«, zweifelte Aliyat. »Du hast doch gesagt, dass sie mit irgendwem jenseits der Berge Krieg führen wollen. Und die Berge sind im Norden.«
»Weiß das Kamel, was die da mit dem Öl machen! Hauptsache: Wenn man die Wüste der nickenden Hämmer durchquert und den Rohren folgt, kommt man bestimmt zum Meer …«
»Dich werden sie gerade dorthin durchlassen! Verbrennen werden sie dich wie Lako …«
Als er den Namen hörte, verfinsterte sich Ar-Scharlachis Miene, und er griff wieder nach dem Krug. Durchs Fenster sickerte feuchtes, graues Licht. Bald würde man den Leuchter ausblasen können …
»Man müsste herausfinden, mit wem sie Krieg führen wollen«, sagte er vor sich hin.
»Was hast du davon?«
Ar-Scharlachi antwortete nicht sofort. Irgendwelche unguten
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