Unter dem Räubermond
Wunschvorstellungen ließen eine Sekunde lang seine scharfen, dunklen Gesichtszüge weicher werden.
»Sie wollen Krieg führen …«, wiederholte er nachdenklich. »Diese Leute – und wollen plötzlich mit jemandem Krieg führen … Stell dir das doch nur einmal vor! Das heißt, es hat sich ein würdiger Gegner gefunden! Ebenso stark wie sie selber, verstehst du?«
»Ja, und?« Aliyat war ernstlich beunruhigt.
»Nichts …«, erwiderte er widerwillig. »Ich dachte nur so: Da pumpen sie in aller Ruhe Erdöl ab, machen mit uns, was sie wollen … Und ihre Feinde? Ahnen die etwa nicht, was hier bei uns vor sich geht? Oder wissen sie alles, lassen es aber vorerst laufen …? Und wenn hinter den Bergen der Krieg beginnt – weißt du, was dann passiert?«
»Was kümmert’s uns?«
»Uns?« Er grinste schief und schüttelte den Kopf. »Wir, fürchte ich, kriegen dann als Erste was ab! Die werden dann ja auch hier zu kämpfen beginnen …«
Ächzend erhob er sich vom Bett und blies dreimal, um den Leuchter zu löschen. Im Zimmer war es schon ganz hell. Das Wasser in den Gräben plätscherte etwas leiser, man hörte vor dem Fenster die Tropfen in rascher Folge fallen.
Gegen Mittag waren die Gassen halbwegs getrocknet, doch alles in allem überwog noch der Schlamm, der das Gehen sehr erschwerte. Solches Wetter war man hier nicht gewohnt.
Das war wohl auch der Grund, warum Bittsteller und andere Ar-Scharlachi nicht behelligten. Nur Kahirab entschloss sich, den jenseits der Stampflehmmauer beginnenden Morast zu überwinden und das in dienstlicher Pflicht.
»Ich soll dich von Tiangi grüßen«, teilte er reserviert mit, während er an der Schwelle die Schuhe auszog. »Er lässt ausrichten, dass er sich für dich freut … freut, dass du dich endlich entschlossen hast …«
»Wie ich sehe, bemüht ihr euch nicht besonders um Geheimhaltung«, sagte Ar-Scharlachi und bat den Gast mit einer Handbewegung in eins der Zimmer.
Sie setzten sich einander gegenüber auf die Kissen. Das Gesicht ließ Kahirab verhüllt.
»Stört dich der ungewohnte Schleier nicht?«, erkundigte sich Ar-Scharlachi beiläufig.
Der andere war erstaunt und wohl auch ein wenig gekränkt. »Wieso ungewohnt? Glaubst du etwa, ich trage ihn erst seit einem Jahr?«
»An Wein bist du also auch gewöhnt?«
Kahirab runzelte die Stirn. »Wenn es sein muss, trinke ich natürlich … Aber du wirst mich doch hoffentlich nicht zum Trinken zwingen wollen? – Und was die Geheimhaltung angeht … Uns vor dir zu verbergen, das hat keinen Sinn. Du bist klug, errätst selber alles … Und womöglich verdächtigst du uns sonst noch, wir seien unaufrichtig …«
»Und wenn ich mich bei irgendwem verplappere?«
Ehe er antwortete, bedachte ihn Kahirab mit einem forschenden Blick. »Je mehr Leute von den nickenden Hämmern wissen, umso weniger werden einen Blick darauf werfen wollen.«
Der letzte Satz klang scherzhaft, doch es lag eine Drohung darin verborgen. Ar-Scharlachi erinnerte sich an die rauchenden Trümmer des Weißen Skorpion , an die Rußflecken auf dem Sand, und er spürte wieder einen Kloß im Hals.
»Na schön«, sagte er dumpf. »Und was ist mit deinen Plänen?«
»Mit deinen. Mit deinen, Ehrwürdiger«, berichtigte ihn Kahirab sanft. »Die Pläne bleiben unverändert. Sie verschieben sich nur um ein paar Tage. Den östlichen Flügel des Palmenwegs hat das Unwetter nicht berührt, sodass die Verstärkung rechtzeitig eintreffen wird. Die Flotte Harwas sitzt in den Häfen fest …«
»Aber dort gab es doch kein Unwetter!«
»Ja«, bestätigte Kahirab ruhig. »Das Unwetter hat damit nichts zu tun. Der Befehl hat sie einfach wie immer unvorbereitet getroffen … Die Flotte werden sie erst in ungefähr zwei Tagen in Marsch setzen …«
»Du bist dir sicher?«
Die Frage schien Kahirab ein wenig zu amüsieren, und er warf Ar-Scharlachi einen raschen spöttischen Blick zu. »Ich weiß es einfach.«
Er wusste es … Ja, natürlich. Natürlich hatten sich ihre Leute nicht nur entlang des Palmenweges eingenistet. Sicherlich gab es auch in Harwa selbst welche, in den anderen Häfen, bei Hofe, auf den Werften, überall … Vielleicht waren ihrer gar nicht so viele. Doch jeder hatte eine ganze Horde von ihm unterhaltener Zuträger, Informanten und Strohmänner … So wie Ar-Scharlachi selbst.
»Das heißt, die Angelegenheiten können warten«, sagte er, bemüht, seine Stimme möglichst gleichgültig klingen zu lassen. »Sag mal … Sind das bei euch
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