Unter dem Räubermond
klar geworden, dass er sich nicht die beste Zeit zum Transport lebender Ware ausgesucht hatte: Unruhe, Aufruhr, vielleicht sogar Krieg … Kahirab zeigte sich mit seinen Erklärungen zufrieden. Was aber Aliyat anging, so befahl sie dem Kaufmann mit sichtlicher Genugtuung, sofort aus dem Hafen zu verschwinden und ihr nicht mehr unter die Augen zu kommen. Der Händler schaute sie an, zuckte zusammen und wagte nicht zu widersprechen.
Ar-Scharlachi und Kahirab trennten sich von Aliyat, die sich selbst von der Ausführung ihres Befehls überzeugen wollte, verließen den Hafen und machten sich auf den Rückweg, wobei sie zahllose große und kleine Pfützen umgingen. An der ersten Wegbiegung stürzte schlammspritzend irgendein alter Mann auf Ar-Scharlachi zu und erstarrte in einer halben Verbeugung, in der Hand eine Schriftrolle, wohl eine Beschwerde oder ein Bittgesuch. Der Gebieter des Palmenwegs steckte sich das Pergament ins Gewand und entließ den Bittsteller mit einer gnädigen Handbewegung.
»Trotzdem«, ließ sich Kahirab vernehmen, die starrsinnigen Brauen zusammengezogen – er hatte bisher geschwiegen und war irgendwelchen Gedankengängen gefolgt. »Das mit diesem Kaufmann – na schön … Aber es gab ja noch andere Fälle! Wie man’s auch wendet, es läuft darauf hinaus, dass jemand von unseren Leuten in Harwa die Zunge nicht im Zaum hält.«
»Wenn es nur die Zunge wäre!«, lachte Ar-Scharlachi, der sich auch an etwas erinnerte.
Kahirab wandte ihm erstaunt den Kopf zu und tappte prompt in eine Pfütze. Er fluchte und zog den Halbstiefel, fast bis zum Rand des kurzen Schafts mit glänzendem Schlamm bedeckt, aus der Brühe.
»Was denn noch?«, fragte er beunruhigt und stampfte auf einem trockenen Erdhügelchen.
Ar-Scharlachi seufzte. »Habt ihr Ulqar die neuen Kampfschilde geliefert? Na, diese weitreichenden Spiegel …«
»Nein.«
»Also, der Weiße Skorpion – die erste von mir gekaperte Galeere – war vor rund zwanzig Tagen mit solchen Schilden als Ladung nach Harwa unterwegs …«
Kahirab blieb stehen und starrte seinen Gesprächspartner mit großen Augen an.
»Ach so?«, murmelte er schließlich. »Du denkst also, jemand von unseren Leuten arbeitet für …«
Er sprach nicht zu Ende, doch Ar-Scharlachi erriet mit einem leichten Schaudern schon selbst, was der andere meinte.
»Eure Feinde?«, wagte er mit zitternder Stimme den Satz zu vollenden.
Kahirab schwieg, seine Wangenmuskeln spielten. Der Schleier, der das Gesicht bedeckte, bewegte sich, dafür waren die Augen reglos.
»Nein«, stellte Kahirab knapp fest. »Unmöglich. Wenn unsere Feinde wüssten, dass wir hier Erdöl fördern, hätten wir hier kein so ruhiges Leben. Und trotzdem … Danke, dass du es gesagt hast.«
»Erlaube!« Ar-Scharlachi verlor endgültig die Fassung. »Wenn nicht eure Feinde, wer dann?«
»Na, weißt du …« Kahirab suchte mühsam nach Worten. »Unsere sind ja auch nicht alle begeistert von dem, was wir hier mit dir vorhaben …«
Ar-Scharlachi blinzelte; er brauchte ein paar Sekunden, um das Gehörte zu erfassen.
»Was heißt denn das nun wieder?«, brachte er stockend hervor. »Bin ich etwa jemandem von euren Leuten ein Dorn im Auge? Oder nicht einmal ich, sondern der Palmenweg?«
»Du hast eine hohe Meinung von dir«, bemerkte Kahirab ironisch. »Du bist ihnen schnuppe, genau wie ich und der Palmenweg. Aber Tiangi – ja. Tiangi ist schon lange manchen ein Dorn im Auge … Und damit wohl auch alles, was von ihm ausgeht …«
»Beim bösen Mond!«, wunderte sich Ar-Scharlachi und lachte nervös. »Wohin man auch blickt, überall Intrigen …! Och!« Sein Gelächter brach ab, er verzog wehleidig das Gesicht. »Ich werde vielleicht was abkriegen!«
»Und ob!«, ging Kahirab auf seinen Ton ein. »Weißt du, wie viele du verärgert hast, indem du mich zum Befehlshaber ernannt hast? Nein? Das ist es gerade …«
»Was hätte ich denn machen sollen?«
»Du hättest so tun sollen, als ob du selbst befiehlst«, sagte Kahirab bestimmt. »Und ich hätte sozusagen deine Gedanken dargelegt, weil ich eine laute Stimme habe …«
Er warf Ar-Scharlachi einen spöttischen Blick zu und drückte ihm freundschaftlich den Ellbogen: Nur Mut, du machst das … Dann teilte er mit, er müsse noch auf dem Marktplatz vorbeischauen, wie Iliysa vorankomme, der den Aufständischen beibrachte, wie man sich in Formation aufstellt und mit den Kampfspiegeln umgeht. Er zog schon im Voraus eine mürrische Miene – und ging seiner
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