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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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In der Mitte des Raums rollte man eine Karte aus, und es wurde erst recht eng. Der wehmütige Gedanke an einen guten Krug Wein stellte sich ein, denn es war klar, dass vom Anführer jetzt Entscheidungen erwartet wurden, in seinem Kopf aber hallte die Leere, und nur eine Ader an der Schläfe zuckte böse und schmerzhaft.
    Doch es ging alles glatt. Sogleich begann, nachdem er um Erlaubnis gefragt hatte, einer von den Fremden zu reden: braun gebrannte, gewölbte Stirn, runde schwarze Augen, starrsinnige Brauen … Er drehte sich immer wieder ehrerbietig zu Ar-Scharlachi um und gab den anderen so gleichsam zu verstehen, er, der Dunkelstirnige und Schwarzäugige, verkünde nur die Absichten des Anführers, mehr nicht. Diese Absichten aber waren, soweit Ar-Scharlachi urteilen konnte, kühn und sorgsam durchdacht: sich in die Tiefe des Palmenwegs zurückziehen und so die Flotte Ulqars zwingen, sich auf mehrere Karawanen aufzusplittern, selbst aber die eigenen Kräfte zusammenfassen, diese Karawanen einzeln zerschlagen und mit der Blockade Harwas beginnen.
    Anfangs empfand Ar-Scharlachi Erleichterung, dass der Unbekannte ihn derart liebenswürdig der Notwendigkeit enthob, den Strategen zu spielen. Dann kam die Unruhe. Erstens erinnerte ihn der Unbekannte (man müsste wenigstens seinen Namen in Erfahrung bringen!) lebhaft an Tiangi; bald schon glaubte Ar-Scharlachi sogar, in der Rede des unerwarteten Retters einen gewissen singenden Tonfall und die Neigung zu unnötigen Hauchlauten zu bemerken. Und zweitens … Etwas missfiel Ar-Scharlachi an diesen detailliert ausgearbeiteten Plänen. Als er schließlich begriff, was es war, war er außer sich.
    »Du redest von Rückzug«, sagte er, und im Zimmer wurde es ganz still. »Und was wird aus Ar-Ajafas Schatten?«
    Die schwarzen Augen betrachteten ihn mit zurückhaltender Neugier. »Nun, da ich nicht der Herrscher bin«, erklärte der Besitzer der Augen leise, »kann ich schwerlich genau antworten. Aber höchstwahrscheinlich nichts Gutes.«
    »Das heißt, du willst die aufständische Oase der Gnade Ulqars überlassen?« Das Wort »Gnade« betonte Ar-Scharlachi, und die Anwesenden, die bis dahin dem Schwarzäugigen gebannt gelauscht hatten, wechselten beunruhigte Blicke. Allen war wohlbekannt, welche Gnade vom Beherrscher Harwas zu erwarten war.
    »Ar-Ajafas Schatten können wir sowieso nicht halten«, erläuterte der Schwarzäugige. »Seine Übergabe ist unvermeidlich. Außerdem werden alle, die Waffen tragen können, mit uns ziehen.«
    »Und die es nicht können?«
    Die starrsinnigen Brauen des anderen gaben für eine Sekunde nach und gingen erstaunt in die Höhe. Die Frage kam ihm offensichtlich seltsam und naiv vor.
    »Fahr fort«, warf Ar-Scharlachi hin.
    Der Schwarzäugige fuhr fort, doch nun hatte sich die Haltung der Anwesenden zu dem, was er sagte, verändert. Sie hingen nicht mehr an seinen Lippen, sondern blickten immer wieder zu Scharlach hin, versuchten in seinem Gesicht zu lesen, wie er selbst zu dem Gehörten stand. Das Gesicht aber wurde immer finsterer. Der Schwarzäugige wurde nervös und verstummte, offensichtlich unter Verzicht auf den Schluss seiner Rede.
    »Möchte noch jemand mir einen Rat geben?«
    Der Satz klang ein wenig beleidigend. Der Schwarzäugige straffte sich und erbleichte merklich. Die anderen wechselten Blicke. Es fand sich niemand, der einen Rat geben wollte.
    »Gut«, presste Ar-Scharlachi hervor. »Meinen Entschluss werde ich euch etwas später mitteilen. Und jetzt geht. Du bleib«, fügte er an Aliyat gewandt hinzu.
    Eine Sekunde verstrich in verständnislosem Schweigen, dann begannen die Mäntel zu rascheln, Metall zu klirren. Seufzend, besorgt tuschelnd und kopfschüttelnd erhoben sich die Leute vom Teppich, und bald war das Zimmer leer. Eine Zeit lang saß Ar-Scharlachi mit steinernem Gesicht da, den Rücken gerade, dann zog er die Schultern vor und schaute Aliyat gehetzt an. »Hör mal, hol Wein …«, bat er tonlos.
    Wortlos ging sie hinaus und kehrte bald mit einem Krug zurück. Sie schaute ihm besorgt in die Augen.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll …«, murmelte er niedergeschlagen und riss den Wachsverschluss ab.
    »Er hat doch eigentlich alles richtig gesagt …«, bemerkte Aliyat vorsichtig.
    Ar-Scharlachi bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ein wenig zu schweigen, löste den Schleier vom Gesicht und leerte auf einen Zug eine ganze Schale. Er atmete durch, saß da, böse irgendwohin in die Ecke blinzelnd. Dann blickte er

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