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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Blick war immer noch furchtlos.
    Ein paar Sekunden vergingen in lastendem Schweigen.
    »Dummes Weib!«, blaffte Ar-Scharlachi schließlich. »Wer wird dir denn glauben?« Er überlegte kurz und fügte rachsüchtig hinzu: »Und überhaupt … Wenn Scharlach erfährt, dass du dich mir in der Grube hingegeben hast …«
    »Ich werde es ihm ja nicht sagen«, beruhigte ihn Aliyat und setzte sich wieder hin.
    Ar-Scharlachi blinzelte. »Oho!«, sagte er fast respektvoll. »Du hoffst also, ihm noch einmal zu begegnen?«
    »Scharlach lässt seine Leute nicht im Stich«, warf sie herablassend hin. »Im Unterschied zu euch Schleimern …«
    Sie waren beide hungrig geworden, als hinter der Tür die schweren Schritte der Wächter ertönten. Das anscheinend in Kimir gefertigte Schloss klickte laut, die Türangeln quietschten, ein schmaler Lichtstreif fiel herein.
    »Einzeln herauskommen!«
    Wie es ihm als Mann gebührte, ging Ar-Scharlachi als Erster hinaus und wurde zu seiner Verwunderung wieder gefesselt. Der Wächter band die Hände über Kreuz, zog den Knoten ordentlich fest und wandte sich der über die Schwelle tretenden Aliyat zu. Noch eine geschickte Handbewegung am anderen Ende desselben Strickes, und die Gefangenen fanden sich in derselben Lage wie zuvor.
    »Wartet doch … ich …«, setzte Ar-Scharlachi an, doch man befahl ihm zu schweigen und warf ihm die schon bekannte Schlinge um den Hals.
    Dann wurden die Gefesselten ohne viel Federlesens in den Gerichtshof gestoßen und vor den ehrwürdigen Ar-Maura gestellt. Der Richter seines eigenen Schattens blickte finster wie nie zuvor. Entlang der Wände aus Stampflehm, gefliest mit hellblauen, von rosenroten Adern durchzogenen Kacheln, hatten sich die nacktfressigen Wächter aufgestellt. Die Spiegelschilde sahen aus wie Fenster, die auf einen kleinen Hof führten, wo auf dem hohen geschnitzten Stuhl ein beleibter Richter thronte und hinter ihm der Anführer der ersten Wache und der Sekretär standen – beide sehr bleich, die Lippen entschlossen zusammengepresst. Genau wie die Marmorstatue Ulqars neben dem Springbrunnen.
    Der Richter erhob sich zu seiner ganzen beeindruckenden Größe. Derlei kam selten vor – höchstens bei der Verkündung eines neuen Edikts des Herrschers. Des Unerforschlichen und Unsterblichen.
    »Das gerechte Urteil erwartende Aliyat!«
    Ar-Scharlachi spürte, wie sich der Körper der neben ihm stehenden Frau erwartungsvoll spannte. Wenn ihm sein eigenes Schicksal nicht so viel Sorgen bereitet hätte, hätte sich ihm gewiss das Herz vor Mitleid mit dieser Kobra zusammengekrampft. Trotz alledem.
    »Wir überantworten dich in die Hände des Herrschers.«
    Ar-Scharlachi zuckte zusammen. Solch eine Formulierung hatte er noch nie gehört. Das konnte alles bedeuten, ein Todesurteil eingeschlossen.
    Doch die nächsten Worte des Richters frappierten ihn noch mehr.
    »Das gerechte Urteil erwartender Scharlach!«
    Zuerst glaubte er sich verhört zu haben. Oder dass der Richter seinen Namen falsch ausgesprochen habe. Doch im nächsten Moment trafen sich ihre Blicke, und Ar-Scharlachi erkannte erschaudernd, dass es kein Irrtum gewesen war.
    »Wir überantworten dich in die Hände des Herrschers …«
    Er öffnete den plötzlich wie ausgetrockneten Mund, aber der verkrampften Kehle entrang sich nur ein klägliches Piepsen, wie es eines Mannes unwürdig war. Der Richter trat hastig auf Ar-Scharlachi zu und drückte, sichtlich entgegen der Gerichtsordnung, mit zitternder Hand seine gefesselten Handgelenke. Ohne aufzublicken, murmelte er widerwillig: »Verzeih … Es hat sich halt so ergeben …«

5
    Der Unerforschliche und Unsterbliche
    B ei geringem Gegenwind fuhr die leichte Postgaleere mit Muskelkraft über die riesigen Salzkrusten der Tallana, mit Kurs auf Harwa. Unten lagen in Dunkelheit, stickiger Luft und Gestank die mit kräftigem Wein gestärkten Schiffsläufer auf den schweißnassen Hängesitzen und traten mit letzter Kraft die Sprossen der Antriebstrommeln. Sie mussten alle halbe Stunde abgelöst werden und waren dennoch aufs Äußerste erschöpft. Dann, gegen Mittag, drehte der Wind, an beiden Masten wurden die schrägen Segel aufgezogen, und den Läufern wurde endlich Ruhe gegönnt.
    Der winzige dämmrige Verschlag mit dem vergitterten Ober licht ruckelte und schwankte. Die Verstrebungen knarrten. Ar-Scharlachi lag mit zusammengebissenen Zähnen da, das Gesicht zur Wand, und überdachte zum wer weiß wievielten Male entsetzt, was geschehen war.
    Man

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