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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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man sich an die Lehre des weisen Andrba, der zufolge jemand, der in Meerwasser badet, von allen Gebrechen geheilt und unsterblich wird … Klar doch! Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin …! Das also bezweckt er! Eine Expedition nach Meerwasser …«
    Aliyat saß verwirrt und bleich da. »Und wirklich?«, fragte sie stockend.
    »Was ›wirklich‹?«
    »Das Meer … Was ist das überhaupt?«
    Ar-Scharlachi grinste und füllte wieder seinen Becher. Er wollte auch Aliyats füllen, doch sie hatte den Wein gar nicht angerührt.
    »Also darum«, sagte er, »streiten sich die Weisen schon seit fast zwei Jahrhunderten. Die einen sagen – das Totenreich. Die anderen – ein Quell der Unsterblichkeit. Und dann war da noch Aregug, genannt der Gottlose … Der hat behauptet, das Meer sei einfach nur viel Wasser.«
    Eine Zeit lang schwieg Aliyat niedergedrückt. Während er sie betrachtete, verstummte auch Ar-Scharlachi. Vor dem Fenster raschelten die in silbriges Licht getauchten Palmen. Durch das geschmiedete Fenstergitter schaute der böse Räubermond herein.
    »Jaa …«, sagte er schließlich gedehnt, und seine Stimmung verfinsterte sich. »Da hast du mir etwas eingebrockt … Was soll denn nun werden?«
    Aliyat schob entschlossen den Teller von Vogelknochen weg.
    »Wie viele Schiffe gehören zur Karawane?«, fragte sie abgehackt.
    »Woher soll ich das wissen! An die fünf … Jedenfalls kommt Scharlach auch gegen ein solches Schiff nicht an … Falls du, versteht sich, auf Scharlach hoffst.«
    Mit finsterer Miene verschleierte sich Aliyat wieder. »Wie leben die bloß hier in Harwa!«, sagte sie gereizt und ließ sich eher vom Stuhl herabgleiten, als dass sie aufstand. »Stühle, Stühle … Vielleicht machen die auch die Kinder auf Stühlen?«
    »Das kommt vor …«, murmelte Ar-Scharlachi, während er konzentriert den Rest des Weins in den Zinnbecher goss.
    Da es in Harwa – wie auch in der ganzen bekannten Welt – keine großen Huftiere gab, waren das Hauptverkehrsmittel in der Hauptstadt Rikschas. Während er von dem zweirädrigen Gefährt durchgerüttelt wurde, gezogen von einem kräftigen Burschen in hellblauem Leinenhemd mit dem schwarzen Buchstaben »Alq« zwischen den Schultern, betrachtete Ar-Scharlachi mit unwillkürlicher Neugier die morgendlichen Straßen. Harwa war immer noch schön, dennoch hatte sich in den fünf Jahren vieles hier verändert, und bei Weitem nicht zum Besseren. Auf den Straßen lag sichtlich mehr Unrat, und auch das Straßenpflaster war zum Rande hin merklich abgesackt, die Häuser waren verblichen, aus dem eingefallenen, trockenen Springbrunnen war ein Müllplatz geworden. Erstaunlich war auch die Menge fliegender Händler. Es schien, als sei ganz Harwa mit Waren in den Händen auf die Straße gegangen. Man verkaufte irgendwelche unverständlichen Dinge, und einmal sah Ar-Scharlachi sogar, dass Bündel leichter Stahlketten mit Handschellen feilgeboten wurden. Ein lustiger Anblick, insbesondere wenn man bedachte, dass seine beiden Hände mit just solchen Ketten an den Armstützen des Wagens angeschlossen waren.
    Mehrere Male, wenn die Kolonne von sieben Rikschas um eine Ecke bog, stürzte ihnen jemand von den Händlern forsch in den Weg, hielt ihnen irgendwelche glänzenden Messerchen mit mehreren Klingen oder etwas in der Art entgegen, schreckte aber sofort zurück, wenn er an der Seitenwand des Wagens den schwarzen Schriftzug der Palastwache erblickte. Die Kolonne passierte die zentralen Viertel und strebte dem äußeren Hafen zu. Bald huschten zu beiden Seiten die mit Palmblättern gedeckten Hütten des Stadtrands vorbei, das Grün nahm ab, auf die Stirn traf der heiße Hauch des Steppenwinds. Der Hafen war schon nahe.
    Der eigentliche Hafen war ein ausgedehnter Platz, eben wie ein Schild, an drei Seiten von Bauwerken und Hainen mit welkem Laub umgeben. Die vierte Seite fehlte sozusagen – dort erstreckte sich gleich die Steppe. Bis zum Horizont.
    Die Rikschafahrer gingen zweckmäßigerweise von leichtem Trab zu gemessenem Schritt über, denn ihre Füße versanken jetzt fast bis zu den Knöcheln im weichen, heißen Staub.
    Schon von Weitem erriet Ar-Scharlachi das Schiff, zu dem sie unterwegs waren. Auf das riesige Vorderrad gelehnt, die hinteren Stützen weit abgespreizt, hatte es das Heck angehoben wie ein angreifender Skorpion. Ein Kriegs-Zweimaster, der pro Seite vierzig Spiegel einsetzen konnte. Der messing beschlagene Rammsporn glänzte, die beiden weit ausgestreck ten

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