Unter dem Räubermond
Karawanenführer. In der Tür erschien ein erschrockener Matrose, der den Hocker wegnahm.
Aliyat wandte sich langsam Ar-Scharlachi zu. »Du bist ja doch nicht so dumm«, sagte sie einigermaßen verwundert.
Der von den riesigen Rädern aufgewirbelte gelbliche Staub wehte, vom Winde getrieben, der Karawane voran. So weit rechts das Auge reichte, war die ganze Steppe in trübe Wol ken gehüllt. Der Samum schwankte leicht. Von irgendwo unten heraus drang wieder das ärgerliche Gepolter des Karawanenführers. Überhaupt muss angemerkt werden, dass die Stimme des ehrwürdigen Chaïlsa durch die dünnen Trennwände hindurchging wie ein Messer. Außer ihr war nichts zu hören.
»Und das ist das Flaggschiff?«, fragte der Karawanenführer atemlos jemanden. »Das ist das Führungsschiff? Was geht denn dann auf den anderen Schiffen vor sich …? Was ist das für ein Fass im Laderaum?«
Die Antwort war so ehrerbietig, dass sie nicht an Ar-Scharlachis Ohren drang.
»Für Meerwasser?«, fragte der Karawanenführer irritiert zurück und verstummte für eine Minute. »Na schön, und was ist das? Was das ist, frage ich …! Ruf die Leute, und dass ich das nie wieder sehe!«
Der Stimme des Karawanenführers wanderte durchs Schiff – knirschte, knarrte, blaffte. Nach allen Seiten hagelte es Beschwerden. Jemanden hatte man schon an einen Querbalken gebunden und ihm ein Dutzend Schläge mit dem Tau verpasst. Schließlich verzog sich der Ehrwürdige in seine Kajüte, doch auch dort kam er nicht gleich zur Ruhe.
»Der ehrwürdige Tamsaa …«, vernahm Ar-Scharlachi mitunter sein wütendes Knurren. »Da hat er mir einen Gefallen getan, alles was recht ist! Hat die Karawane selber auf die Fahrt vorbereitet …! Kann Horn und Schwanz nicht unterscheiden, und dann … So etwas muss einem doch anderthalb Monde vorher angekündigt werden!«
Das Signalhorn tönte schrill. Also würde es bald etwas zu essen geben … In der Tat, bald erklangen jenseits der Trennwand Schritte, Geschirr klapperte, dann war hastiges, heiseres Flüstern zu hören, von dem nur drei Worte zu verstehen waren: »… erzählst du später …«, und die niedrige Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet.
Der Matrose, der das Essen brachte, stammte anscheinend aus dem Palmenweg. Jedenfalls war sein Gesicht verschleiert. Er betrug sich sonderbar. Seine Augen huschten hin und her, als habe er vor, etwas mitgehen zu lassen. Verstohlen blickte er erst zu Ar-Scharlachi, dann zu Aliyat hin, stellte das Tablett ab und entfernte sich wortlos. Vielleicht war es verboten, mit den Räubern zu sprechen.
Gegen Abend ließ der Wind nach, die Steppe wich den flachen Dünen der Tegen. Bald fuhr der Samum in die Senke zwischen zwei Dünen hinab, bald fuhr er knarrend mit Anlauf zum Kamm hinauf. Nach dem vertrauten Klirren unten zu urteilen nahm die Ablösung der Schiffsläufer Platz in den Hängesitzen.
»Hör mal, bei denen treten ja keine Matrosen die Trommel«, sagte Aliyat mit besorgter Miene. »Hörst du? Ketten …«
»Na und?«, fragte Ar-Scharlachi.
»Ja …«, antwortete sie ausweichend und betrachtete nervös den stählernen Reif um ihr Handgelenk. »Wir sind also nicht als Einzige hier angekettet …«
Die ganze Nacht verging mit der kräftezehrenden Fahrt einen flachen Hang hinauf, noch dazu bei fast vollkommener Windstille. Erst gegen Morgen, als sich die Karawane endlich aufs Papalan-Plateau hinaufgearbeitet hatte, begannen an den Masten die Wimpel sich zu regen und zu flattern. Einer alten Weisheit zufolge erwacht in der Wüste der Wind zusammen mit der Sonne. Bald blähten sich die Segel des Samum , und unter den riesigen Rädern knirschte munter der rötliche Schotter.
Es zeigte sich freilich, dass nicht nur der Wind bei Sonnenaufgang erwacht war. Tags zuvor hatte der Karawanenführer sozusagen nur gegeifert, jetzt aber war er wie losgelassen.
»Warum hat die ganze Mannschaft Lappen vor den Fressen?«, dröhnte er wie rasend. »Ist das hier Kimir oder was? Oder vielleicht doch Harwa …? Was heißt ›nur auf Fahrt‹? In welcher Vorschrift steht, dass man auf Fahrt die Gesichter verdecken soll? Während eines Sandsturms – ja! Da mache ich das auch! Warum jetzt?«
»Viele von ihnen sind aus dem Palmenweg«, erklärte jemand verwirrt, anscheinend der Treiber des Samum . »Dort gilt es als Schande, wenn ein Mann mit bloßem Gesicht …«
»Es gibt keinen Palmenweg! Es gibt Harwa …! Und wenn ein Mann sein Gesicht verbirgt, dann ist er entweder ein Kimirer
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