Unter dem Räubermond
dagegen.
Auf einmal war Ar-Scharlachi angewidert. Der Wind riss pfeifend Sandfahnen unter den Rädern hervor und verstreute sie über den Dünen wie durchsichtige Banner. Riybra aber fand immer noch kein Ende.
»Da sagst du: ›Sie – das bin ich‹«, brabbelte er, die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Dann soll sie doch auch tun, was du sie geheißen hast! Du hast sie ja nicht die Wachen überprüfen geschickt, sondern den Zwieback … ›Sie – das bin ich …‹ Was heißt: ›Sie – das bin ich‹? Für wen haben wir eigentlich gemeutert? Ihretwegen etwa …?«
Ich muss ihn irgendwie in die Schranken weisen, dachte Ar-Scharlachi, plötzlich erschrocken. Wie er mich einzuwickeln versucht! Schon mit Andeutungen, fast mit Drohungen …
Doch es war nicht notwendig, Riybra zurechtzuweisen. Der Intrigant brach mitten im Wort ab, starrte über Ar-Scharlachis mit drei Falten verzierte Schulter hinweg. Dieser wandte sich um, schon ahnend, wen er erblicken würde.
Aliyats dunkle, zusammengekniffene Augen sprühten Funken. »Hast du’s endlich so weit gebracht?«, zischte sie, allein an Ar-Scharlachi gewandt.
Er verstand nichts, und da zeigte Aliyat schweigend auf das kaum sichtbare Dunstfleckchen am vom Dunst wogenden Horizont. Dann hob sie den Blick zu dem an der Mastspitze flatternden zerrissenen weißen Wimpel und drehte sich abrupt zu Riybra um. »Warum ist niemand oben?«
Der krummrückige, intrigante Meuterer bewegte verlegen mit dem Munde seinen Schleier und wandte sich Ar-Scharlachi zu, als suche er Hilfe.
»Ja, warum also?«, sagte der kalt.
Riybra schaute ihn entsetzt an und stürzte zu dem flachen Bugaufbau. »Ausgucke bemannen! Schnell!«
»Tja …«, sagte Aliyat resigniert, während sie zum Horizont blickte und gleichsam versuchte, dahinter zu schauen. »Sie waren geradewegs zu Ar-Maura unterwegs …! Der Geschwindigkeit nach zu urteilen kein Kauffahrer – er läuft denn doch verdammt scharf …«
Inzwischen kletterten aus der Luke lässig, ohne Eile, zwei Gestalten in weißen Kitteln, doch als sie Scharlach auf Deck er blickten, noch dazu Aliyat, stutzten sie und rannten zu den Mas ten, wobei sie die Enden ihrer Gewänder um die Gürtel wickelten. Doch schon in Höhe der ersten Rah riss der Wind an den Kitteln, löste die Knoten, und es sah so aus, als glitten an beiden Masten langsam zwei flatternde weiße Fahnen hinauf.
»Was ist?«, rief Riybra weinerlich, den Kopf in den Nacken gelegt.
»Scheint ein Kriegsschiff zu sein«, wurde von oben her gerufen. »Eine einmastige Galeere. Sie kommt uns entgegen …«
»Allein?«
»Sieht so aus …«
Riybra kam zurück, runzelte kläglich die Stirn. »Das hat Aitscha verpennt … Aber ich hab ihm gesagt … Gestern hab ich’s ihm gesagt … und heute …«
»Hm … eins ist noch kein Unglück …«, murmelte Ar-Scharlachi, aber so unsicher, dass es wie eine Frage klang.
»Klar doch!«, pflichtete ihm Riybra eifrig bei. »Die werden uns doch nicht allein verfolgen!« Er blickte den Anführer ergeben an. »Zur Wende bereit machen?«
»Wenn wir anfangen, uns davonzumachen, dann verfolgen sie uns unbedingt«, sagte Aliyat. »Aber wir haben nur neunundzwanzig Schilde … Und überhaupt wenig Leute … Womit wollen wir uns verteidigen?«
»Was denn, wir entkommen der Galeere nicht?«, ereiferte sich Riybra. »Das ist ein Einmaster!«
»Entkommen können wir, aber morgen wissen sie dann schon in Sibra, wo sie uns suchen müssen …« Aliyat stockte und setzte voll Wehmut hinzu: »Genau darum mag ich diese Fahrten bei Tage nicht!«
Sie blickte nach oben, auf den an der Mastspitze flatternden schneeweißen, von der Sonne gebleichten Stoffstreifen. »Vielleicht sollten wir diesen Lappen einholen und wieder den Wimpel hissen?«, fuhr sie hoffnungslos fort. »Vielleicht, dass sie uns nicht anhalten?«
Die Männer schwiegen niedergedrückt.
Plötzlich verzerrten sich die dunklen Züge unter dem Schleier, und Aliyat schaute Ar-Scharlachi hasserfüllt an. »Karawanen wollte er ausrauben! Du werd erst einmal mit dieser einen Galeere fertig!« Sie stockte, blickte ihn eingehender an, dann weiteten sich ihre Augen, und Aliyat packte Ar-Schar lachi entsetzt bei den schneeweißen Falten auf der Brust. »Lass dir das bloß nicht einfallen!«
Ar-Scharlachi zog langsam die kräftigen Frauenhände von seinem Kittel weg und wandte sich mit steinernem Gesicht dem zurückfahrenden Riybra zu.
»Los, alle Mann an Deck!«, presste er zwischen den Zähnen
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