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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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müssen wir loswerden.«
    Alle, Aliyat eingeschlossen, erstarrten und fixierten den Anführer misstrauisch.
    »Wenn wir den ersten Schatten erreichen«, fuhr er fort, »sollen sie ihrer Wege gehen.«
    Die Räuber wechselten mit sichtlicher Erleichterung Blicke. In Scharlachs Mund konnte »loswerden« alles Mögliche bedeuten.
    »Und wer ist bei uns Proviantmeister? Wie sieht es damit aus?«
    Der Proviantmeister, ein etwas kurz geratener Dicker, der ein wenig an den Karawanenführer Chaïlsa erinnerte, regte sich unruhig. »Wir haben keinen Proviant«, sagte er und wurde blass. »Das heißt, wir haben welchen, aber der taugt gar nichts.«
    Alle wandten sich ihm zu.
    »Was heißt, er taugt gar nichts?«
    »Na ja … Der Zwieback beispielsweise … Obenauf erstklassig, aber weiter unten – vergammeltes Zeug … Ich dachte erst, so ist es nur in einer Kiste, und habe nachgeschaut – in allen dasselbe …«
    »Gut, wir überprüfen das.« Abermals unwillkürlich die Manieren des schlauen Richters kopierend, wandte sich Ar-Scharlachi gemächlich mit dem ganzen Körper zu Aliyat um. Sie nickte.
    Doch schon im nächsten Augenblick verlor das Oberhaupt der Räuber die gebieterische Haltung und berührte sichtlich besorgt die Schläfe mit den Fingerspitzen. Endlich hatte er begriffen.
    »Was heißt das also?«, sagte er mit veränderter Stimme. »Es heißt, wenn wir nicht gemeutert hätten, wären wir weiter in die Wüste vorgerückt und …«
    »Wir hätten sowieso gemeutert«, murrte jemand leise. »Verdorbener Zwieback bringt jeden zur Meuterei …«
    Ar-Scharlachi schwieg, überlegte.
    »Bemerkenswert hat der ehrwürdige Tamsaa die Karawane zur Fahrt vorbereitet«, ließ er sich schließlich vernehmen. »Findet ihr nicht?«
    Das leicht rötliche Licht des Öldochts strich über finstere Stirnen, wusch die Schatten aus den tiefen Falten. Die Räuber versuchten zu verstehen, worauf ihr Anführer hinauswollte.
    »Die Mannschaft hat er aus Bewohnern des Palmenweges rekrutiert«, fuhr Ar-Scharlachi nachdenklich fort. »Als Treiber ein Jüngelchen eingesetzt … Den Karawanenführer hat er im letzten Augenblick in Kenntnis gesetzt … Und der kann keine verschleierten Gesichter ausstehen … Und dann hat er uns noch mit verdorbenem Proviant ausgerüstet … Das heißt, der ehrwürdige Tamsaa brauchte unbedingt eine Meuterei auf dem Flaggschiff. Ich möchte nur wissen, wozu? Um dem Karawanenführer eins auszuwischen oder dem Herrscher das Meerwasser vorzuenthalten?«
    »Welchen Unterschied macht das?«, stieß Aliyat hervor und erntete tadelnde Blicke – was auch immer der Anführer von sich gab, man durfte ihn nicht unterbrechen.
    »Jetzt keinen mehr«, stimmte Ar-Scharlachi zu. »Obwohl … auf den anderen Schiffen ist es sicherlich ebenso …«
    »Na und?«
    »Das heißt, in nächster Zeit wird uns der Karawanenführer wahrscheinlich nicht suchen. Proviant wird er suchen …«
    »Wir auch«, brachte Aliyat in Erinnerung.
    »Ja«, bestätigte Ar-Scharlachi und rollte die Karte auf. »Wir auch. Ich würde mich übrigens nicht wundern, wenn sich auch das Wasser als verdorben erweist.«
    Er gab sich abermals würdevoll, runzelte die Brauen und mimte angestrengt einen Strategen. Vergebens durchbohrte ihn Aliyat mit brennenden Blicken aus ihren dunklen Augen. Der Trunkenbold amüsierte sich sichtlich, schien sich über ihre verzweifelte Lage lustig zu machen. Doch bald blieb sein Finger, der tiefsinnig über die Abbildung der Wüste Tschubarra schweifte, gleichsam an dem Pergament kleben. Eine Zeit lang blickte Ar-Scharlachi verblüfft auf die Karte, dann hob er langsam die böse lächelnden Augen.
    Die dunklen Gesichter der Räuber, fast bis zur Nasenwurzel von den Schleiern bedeckt, auf denen ein rötlicher Schein lag, wandten sich dem Anführer zu. Alle spürten sogleich, dass die Entscheidung schon gefallen war.
    »Proviant wird uns der ehrwürdige Ar-Maura liefern«, erklärte Ar-Scharlachi heiser. »Ich bin mir sicher, dass er mir aus alter Verbundenheit meine Bitte nicht abschlägt … Wir brechen morgen früh auf … Ach ja! Was ist mit den Schilden?«
    Ein breitschultriger, untersetzter Meuterer räusperte sich dumpf. »Neunundzwanzig Mann für vierzig Schilde«, sagte er mit Bassstimme. »Zu wenig … Die Offiziere wurden ja alle umgebracht… und noch ein paar Leute …«
    »Und von der Decksmannschaft kann niemand mit Schilden umgehen?«
    »Woher denn? Ich habe gefragt. In Händen halten können sie sie natürlich

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