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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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erzeugte er einen komplizierten Knoten und blickte seinen schweigsamen Gefährten fragend an. Ar-Scharlachi betrachtete mit Interesse die ungefärbte Wolldecke, die jener noch immer fröstelnd um sich geschlungen hielt. Der gelblich braune Farbton ließ an die Unterwolle von Kamelen denken, doch diesen Gedanken verscheuchte Ar-Scharlachi sofort. Selbst im heute aufgelösten Tempel der Vier Kamele war das Stück Filz, das aus der Unterwolle geschlagen worden war, von weitaus bescheideneren Ausmaßen. Außerdem schien die Decke ganz neu zu sein.
    »Nenne mich Ani«, sagte der Mann, schwieg eine Weile und fuhr fort: »Du sagst also, du bist vor fünfzehn Tagen Räuber geworden. Wie ist das geschehen?«
    »Auf dem Schiff brach eine Meuterei aus«, erklärte Ar-Scharlachi, ohne auf die Einzelheiten einzugehen. »Ich wurde zum Anführer gewählt …«
    Er stockte, als er sah, dass Tiangi geschickt noch einen Knoten knüpfte, komplizierter als der erste. Als ob er, was Ar-Scharlachi sagte, niederschreibe.
    »Lass dich nicht ablenken«, warf Ani ein (übrigens noch so ein ganz unerhörter Name!). »Warum ausgerechnet dich?«
    »Aus Versehen. Sie hielten mich für Scharlach … Es gibt so einen Räuber, und unsere Namen ähneln sich … Kurzum, ich war an seiner Stelle gefangen worden.«
    Er warf einen verstohlenen Blick auf Tiangi. Der hörte dem Gespräch zu und knüpfte konzentriert Knoten.
    »Das heißt, du wurdest nach Harwa gebracht, hast aber eine Meuterei angezettelt?«
    »Nein. Ich wurde gerade von Harwa weggebracht. Der Herrscher hatte eine Karawane zum Meer entsandt …«
    Seine beiden Gesprächspartner blickten auf, und Ar-Scharlachi verstummte. Anscheinend hatte er gerade etwas gesagt, was für sie äußerst wichtig war. Tiangi beendete nicht einmal den Knoten.
    »Ulqar sucht einen Weg zum Meer?«, fragte Ani ungläubig und warf Tiangi einen beunruhigten Blick zu. »Warte mit dem Knüpfen … Wozu?«
    Ar-Scharlachi erklärte es.
    Plötzlich verzerrte sich das dunkle Gesicht Tiangis. Er warf die Schnur zu Boden und sprang auf.
    »Was für eine Unsterblichkeit? Was soll der Unsinn?« Er wandte sich abrupt Ani zu. »Siehst du, Tamahi? Ich hatte also recht! Er hat schon damals sein eigenes Spiel begonnen! Und jetzt ist er völlig außer Kontrolle!«
    »Beruhige dich«, sagte Ani leise, und Tiangi setzte sich mit unzufriedener Miene wieder hin. »Und wer hat die Fahrt vorbereitet? Ulqar selbst?«
    »Der ehrwürdige Tamsaa«, sagte Ar-Scharlachi, und wieder wechselten die beiden Blicke.
    »Ich verstehe nicht«, sagte Tiangi irritiert. »Irwa hat nichts darüber berichtet …«
    Der finstere Ani zog die Decke fester um sich. »Das heißt, die Sache wurde derart geheim geplant, dass sie nicht einmal die Sekretäre eingeweiht haben … Ja, du hast wohl recht. Ulqar ist tatsächlich außer Kontrolle geraten … Na, und du, Ar-Schar lachi? Welche Beziehung hattest du zu dieser Expedition?«
    »Ich war der Pfadfinder.«
    »Du kennst den Weg zum Meer?«
    »Nein … Sie dachten, dass Scharlach ihn kennt.«
    »Mit dem sie dich verwechselt hatten?«
    »Ja.«
    Ani senkte den kraushaarigen Kopf und verfiel in langes Nachdenken.
    »Was meinst du, wird Ulqar eine zweite Karawane aussenden?«
    »Ich … ich weiß nicht«, sagte Ar-Scharlachi. »Ohne Führer? Wohl kaum … obwohl … Nein, ich weiß nicht.«
    »War Scharlach tatsächlich am Meer?«
    »Nein.«
    »Warum bist du dir so sicher?«
    »Ich habe darüber mit … seinen Leuten gesprochen.«
    Ani nickte und schaute Tiangi prüfend an. Der zuckte mit den Schultern. »Andererseits, Tamahi, wozu sollte er lügen?«, fragte Tiangi.
    Ar-Scharlachi merkte natürlich, dass sie von ihm sprachen; er war gekränkt und erschrocken.
    »Ich schwöre beim Horn des Kamels namens Ganeb!«, rief er eifrig aus und presste die Hand an die Brust. »Mir ist klar, dass meine Geschichte hanebüchen klingt, aber nichtsdestoweniger ist alles, was ich sage, wahr!«
    Tiangi schaute ihn an und lächelte. »Das Schöne an diesem Schwur ist seine Zweideutigkeit«, bemerkte er. »Welchen Namen das Kamel auch hat, ein Horn wächst ihm trotzdem nicht.«
    »Ja wieso denn?«, entgegnete Ar-Scharlachi fassungslos. »Und die Statuen am Tempel?«
    Tiangi lachte auf. »Das sind keine Kamele. Das ist eine Legende … Ein echtes Kamel aber ist einfach ein großes Tier ohne Horn, ziemlich hässlich. Und obendrein spuckt es …«
    Ar-Scharlachi starrte sprachlos das ruhige, lächelnde Gesicht Tiangis an. »Du … hast

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