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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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Nicht genug damit – wie sich zeigte, schrieb die Fama (und leider nicht nur sie!) seine Heldentaten Scharlach zu. Davon erfuhr Chaïlsa in der letzten von ihm ausgeraubten Oase, wo schon ein Pergament eingetroffen war, welches besagte, dass die Regierung von Harwa für die Taten des Räubers keine Verantwortung trage und den Truppen Kimirs dankbar sein werde, wenn sie den Schurken vernichteten.
    Erstens war es kränkend, derlei über sich selbst zu hören, und zweitens war dem rotgesichtigen Chaïlsa bei all seinem Starrsinn durchaus bewusst, dass es diesmal schwierig werden würde, vom Herrscher Vergebung zu erbitten. Die Sache war zu weit gediehen, wenn schon der Neffe des Karawanenführers, der ehrwürdige Alras (den Chaïlsa, ehrlich gesagt, nicht leiden konnte), sich vor dem kimirischen Gesandten rechtfertigen und ein solches für den Staat erniedrigendes Dokument aufsetzen musste. Die Raubüberfälle Scharlach in die Schuhe zu schieben hieß außerdem, die eigene Schuld an der Flucht des Räubers und an der Meuterei auf dem Samum noch zu vertiefen. Natürlich würde der ehrwürdige Alras dem Familienwohl zuliebe die Abneigung gegen seinen Onkel vorübergehend vergessen und den Herrscher zu überzeugen versuchen, dass die Meuterei im Grunde von dem ehrwürdigen Tamsaa vorbereitet worden war, aber … So sonderbar es war, sich das einzugestehen – aber der Karawanenführer hatte partout keine Lust, den Ruhm dieses beispiellosen Raubzuges irgendeinem Scharlach zu überlassen. Wieder und wieder erinnerte sich Chaïlsa an sein blitzschnelles, gnadenloses Manöver bei dem brennenden Schatten Ar-Chats, und die Wut schnürte ihm schon beim Gedanken die Kehle zusammen, dass dieser glänzendste von seinen Siegen seinem geschworenen Feind zugeschrieben wurde.
    Noch vor zehn Jahren hatte sich Ar-Kahirabas Schatten nicht sehr vom edlen Turkla unterschieden. Doch Turkla hatte sich in letzter Zeit zusehends verändert, glich immer mehr einer reichen Handelsstadt, der Niemandsschatten aber war sozusagen der Alte geblieben: keinerlei luftige Paläste und mit importiertem Granit gepflasterte Straßen, auf den mit weichem Staub bedeckten Gassen blitzt selten ein teures, mit leuchtend roter Seide funkelndes Gewand auf, dafür gibt es mehr als genug schäbige, von der Sonne weiß gebleichte Kittel.
    Der Niemandsschatten wäre wohl ein genaues Gegenstück zu allen anderen Oasen des Palmenwegs gewesen, hätte es nicht den ständigen Platzmangel im Hafen und ungewöhnlich viele Betrunkene gegeben. Freilich, wäre Ar-Kahirabas Schatten plötzlich menschenleer geworden, so wären einem aufmerksamen Blick gewisse Eigenheiten doch nicht entgangen, zum Beispiel die übergroßen Gebäude, die sich hinter die blinden Stampflehm-Mauern duckten. Kein Wunder: Jede Familie unterhielt eine Schenke – ein Zwischending aus Kaffeehaus, Absteige und Freudenhaus. Die rundgesichtigen Mädchen aus Harwa und dem Palmenweg konnten nötigenfalls als Dienerinnen und entfernte Verwandte durchgehen. Und nötig war das des Öfteren gewesen: Schon Oreya der Dritte hatte wiederholt gedroht, Ar-Kahirabas Schatten bis auf die Grundmauern niederzubrennen, dieses Geschwür im Körper des ruhmreichen Staates. Schwer zu sagen, was ihn jedes Mal zurückgehalten hatte. Sicherlich der gute Wein, für den diese Oase schon damals berühmt war. Und festzustellen, wer von den Bewohnern des Schattens eine Schankwirtschaft betrieb und Räubern Unterschlupf gewährte, war ziemlich schwierig, denn das taten alle.
    Der Name »Niemandsschatten« war während des Krieges aufgekommen, als die Oase, die auf der Grenze lag, zur einzigen Quelle von Wein für beide Krieg führenden Parteien wurde, was sich merklich auf die Qualität des edlen Trankes auswirkte. Es wurde viel Wein verbraucht, und die Quelle glich alsbald einem Fluss. Geschmack und Aroma nahmen dabei natürlich Schaden, aber im Krieg kann man nicht wählerisch sein. Beide Armeen sogen den Wein auf, wie ein trockenes Flussbett das Wasser aufsaugt.
    Auf den Karten von Kimir und Harwa pflegte man diese Oase schamhaft wegzulassen, und nie war Streit aufgekommen, wem Ar-Kahirabas Schatten eigentlich gehöre. Die Bezeichnung wurde auch nicht in den Berichten an höchste Stellen erwähnt, um die Aufmerksamkeit der Herrscher nur ja nicht auf den einzigen Ort in der Wüste zu lenken, wo jeder Wanderer seinen Durst löschen konnte. Es war, als ob dieser Schatten überhaupt nicht existierte …
    Was freilich weder Kimir noch

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