Unter dem Safranmond
schwach lächelte, fügte er ernst hinzu: »Ich wünschte, ich könnte es ändern.«
Einen Moment lang sahen sie sich stumm an; dann raunte Maya, hörbar um Fassung bemüht und mit einem Unterton verzweifelter Bitterkeit: »Ich auch.« Sie schluckte trocken und wandte den Kopf ab, lehnte die Stirn wieder gegen die Fensterscheibe. Jonathan stand noch einen Augenblick lang unbeweglich an der Tür, ratlos, was er darauf sagen könnte, gehorchte dann aber seiner inneren Stimme und verließ möglichst leise das Zimmer. Maya nahm nicht einmal das zarte Klicken wahr, mit dem sich die Tür hinter ihrem Bruder schloss. Erst nach geraumer Zeit bemerkte sie, dass sie unaufhörlich mit dem Handballen über Ralphs Brief gestrichen hatte.
… Mrs. Greenwood war so freundlich, mich für März auf zwei Wochen nach Black Hall einzuladen. Ich würde sehr gerne annehmen – allerdings nur, wenn Sie es auch wünschen. Möchten Sie mich denn wiedersehen, Miss Maya?
Sie hauchte gegen das Glas, und in den Fleck, den ihr Atem hinterließ, malte sie mit dem Zeigefinger ein Herz hinein, das sie mit einem »R« beschriftete. Und noch ehe sie wusste, wen sie mit dieser Initiale meinte, Ralph oder Richard, rieb sie mit ihrem Ärmel die Fläche wieder klar, voll zorniger Beschämtheit über diese Kinderei. Auch wenn es als Stichelei gemeint gewesen war, so hatte Angelina an jenem Dezembertag unbeabsichtigt recht gehabt. Es war Zeit, dass Maya erwachsen wurde und ihr Leben selbst in die Hand nahm.
9
Selbst für Mitte März war es viel zu kalt. Aber da der Nachmittagstee an Dora Drinkwaters Geburtstag traditionell immer im Garten stattfand und Tante Dora darauf bestand, dass es an diesem Datum nie regnete – was, soweit Maya zurückdenken konnte, durchaus der Wahrheit entsprach –, hatte man ungeachtet der wenig gemütlichen Temperaturen Buffet, Tische und Stühle draußen aufgebaut. Schließlich war man in England! Hier gab es kein unpassendes Wetter, nur Traditionen, die gepflegt werden wollten. Um von den noch kahlen Ästen etwas abzulenken, waren Papiergirlanden zwischen den Bäumen aufgehängt worden, und zu Tante Doras Erleichterung glänzte der Rasen schon grün, hatten sich zu den Schneeglöckchen die dottergelben, weißen und violetten Köpfchen der Krokusse und die weithin duftenden Hyazinthen gesellt.
»Ich würde mich für die Zitronencremetorte entscheiden.« Maya löste ihren unentschlossenen Blick von den verlockenden Köstlichkeiten des Kuchenbüffets unter freiem Himmel und strahlte gleich darauf über das ganze Gesicht. »Tante Elizabeth!« Herzlich schloss sie die stattliche Endfünfzigerin in die Arme, die wie immer von einem Veilchenduft umgeben war und auch ein Jahrzehnt nach dem Tod ihres Mannes auf schwarzer Trauerkleidung und Witwenhäubchen auf dem ergrauten Haupt beharrte.
»So habe ich wenigstens Ruhe vor irgendwelchen Hallodris, die mir um meines bescheidenen Vermögens willen den Hof zu machen gedenken«, wie sie immer schnaubend verkündete – ganz gleich, ob ihr Gesprächspartner sie danach gefragt hatte und die Logik dieses Argumentes auch nachvollziehen konnte.
»Kind, du erstickst mich ja«, japste sie nun, befreite sich aus Mayas Umarmung und hielt sie ein Stück von sich, fasste sie unters Kinn und wandte ihr das Gesicht hin und her, um es aus jedem Winkel in Augenschein zu nehmen. »Himmel, du wirst deiner seligen Großmutter immer ähnlicher«, murmelte sie und tätschelte beglückt Mayas Wange, begutachtete mit Wohlwollen Mayas smaragdgrünes Kleid und den grün abgesetzten Schutenhut mit gleichfarbigen Bindebändern, ergänzt um passende Handschuhe, einen bestickten Pompadour-Beutel und den geliebten indischen Schal. »Gut siehst du aus!« Gleich darauf kniff sie misstrauisch die Augen zusammen. »Hat das einen bestimmten Grund? Steckt womöglich endlich ein Mann dahinter?« Unwillkürlich huschte Mayas Blick zu Ralph, der in einiger Entfernung zu ihr stand und sich sichtlich bemühte, für Angelinas Geplapper höflichkeitshalber zumindest einen Anflug von Interesse zu zeigen. Er fing ihren Blick auf und lächelte.
»Dachte ich es mir doch!«, schnarrte Tante Elizabeth zufrieden. »Nun, zumindest auf den ersten Blick scheinst du einen hervorragenden Geschmack zu beweisen.« Mit ihrem noch immer scharfen Blick musterte sie gefällig den jungen Mann. Auch wenn er mittlerweile Zivil trug, war er den gewohnten Farben treu geblieben: ein sandfarbener Gehrock und helle Hosen, kontrastiert mit einer
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