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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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bordeauxfarbenen Weste und einer gleichfarbigen Krawatte. »Woher kennst du ihn und was macht er?«
    »Ralph ist ein Freund von Jonathan und seit einer guten Woche bei uns zu Besuch. Er ist auch beim Militär, als Lieutenant. Lange Zeit in Indien, demnächst wohl an der Front.«
    »Daher die schneidige Haltung! Hast du ihn schon geküsst?«
    »Tante!« Maya wusste nicht, ob sie entsetzt dreinblicken oder loslachen sollte. Elizabeth sah sie amüsiert an und klappte energisch ihren schwarzen Fächer auf und zu, den sie mehr der Vollständigkeit halber und zur Unterstreichung ihrer Gesten dabeihatte, denn für seinen eigentlichen Verwendungszweck war es im Garten der Drinkwater-Villa in Summertown an diesem Samstag eindeutig zu kalt. »Ach, ich vergaß: Derartige Dinge zu erwähnen schätzt die liebe Martha nicht sonderlich. Und so wie ich meine Schwägerin kenne, wird sie euch beiden auch keine einzige Gelegenheit dazu gelassen haben.«
    Womit Tante Elizabeth allerdings nur zur Hälfte recht hatte. Wenn es seit Ralphs Ankunft in Black Hall nicht Martha war, die mit Argusaugen darüber wachte, dass es keine Möglichkeit für eine kompromittierende Situation gab, so war es an Angelina, wie eine Klette an Ralph und Maya zu hängen. Sich des Nachts in sein Zimmer zu schleichen, wie sie es bei Richard getan hatte, wäre Maya nie in den Sinn gekommen. Was bei Richard, dem Vagabunden und Außenseiter, der keine Gesetze außer seinen eigenen kannte, so selbstverständlich gewesen war, schien ihr bei einem Gentleman wie Ralph undenkbar. Nie wollte sie ein solches Wagnis eingehen, ohne dass sie hätte abschätzen können, wie er darauf reagieren würde.
    Es hatte lange Abende im Salon gegeben, an denen Maya aus Bulwer-Lyttons Die letzten Tage von Pompeji vorgelesen hatte, während die Gentlemen bei einer Partie Schach saßen und Angelina und Martha ihre Finger mit Nadelarbeiten beschäftigten. Später hatte sich Angelina oft an das Tafelklavier gesetzt (für das sie eindeutig mehr Talent besaß als ihre Schwester) und eine Sonate von Mozart oder einen Walzer aus der Feder Chopins zum Besten gegeben. Trotz allen Protestes, allen Bettelns seitens Mayas und Angelinas hatte Martha ihnen die Erlaubnis verweigert, an einem der Abende mit in das Varieté in der George Street zu gehen. Und so waren Jonathan und Ralph allein losgezogen, nach einem Abstecher in das »Eagle & Child« zu später Stunde die Treppen hinaufgepoltert, um am nächsten Morgen einsilbig und mit schmerzenden Köpfen beim Frühstück zu sitzen. Solange es geregnet hatte, hatten die Nachmittage Karten- und Brettspielen gehört; sobald sich das Wetter besserte, hatten sie Ausflüge unternommen, über die Felder jenseits der Black Hall Road oder zur mittelalterlichen Stadtmauer ganz im Süden Oxfords und auf einen Bummel durch das Warenhaus von »Elliston & Cavell« in der Magdalen Street, in dem sich Angelina in sehnsüchtigen Seufzern erging und aus dem sie dann fast nicht mehr herauszubekommen war. Mehr als über Belangloses oder Unverfängliches hatten sie nicht gesprochen, und doch schien das, was zwischen Maya und Ralph war, auch keiner Worte zu bedürfen, genügten Blicke und Gesten, ein Tonfall, der in einem Wort mitschwang und diesem eine tiefere Bedeutung verlieh, dass beide wussten, wie es um den anderen stand.
    »Schrecklich, wie deine Schwester ihn mit Blicken auffrisst«, zischte Tante Elizabeth nun, und als sei ihr zusammengeklappter Fächer ein Degen, stach sie damit im Takt ihrer Worte auf die Luft vor sich ein. » Das ist nun wirklich unschicklich, da sollte eure Mutter mal ein Auge drauf haben!« Sie seufzte auf und hakte sich bei ihrer Nichte unter. »Aber ich will nicht über Gebühr schelten – Martha ist meinem kleinen Bruder immer eine gute Frau gewesen und euch Kindern eine ganz passable Mutter. Für eine Bentham ohnehin. Ich bin allerdings froh, dass bei dir und Jonathan unser Greenwood-Erbe durchschlägt. Oh, bewahre, nichts gegen seine leibliche Mutter, Gott hab sie selig, immerhin eine Bailey! Aber wir Greenwoods sind eben aus besonderem Holz geschnitzt. Wo steckt der Lümmel überhaupt?« Suchend blickte sie sich um, ob sie ihren Neffen irgendwo zwischen den zahlreichen Gästen entdecken konnte, die paarweise und in Grüppchen zusammenstanden, Tee oder Champagner tranken, Moccacreme- und Marzipantorte genossen, lachten und plauderten. Neben dem Hauptgesprächsthema, dem Ausrücken französischer Truppen gen Osten und dem Ultimatum, das

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