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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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wieder zusammenfaltete, streckte er den Arm aus und strich mit den Fingerknöcheln über ihr Schienenbein unter dem braunen Rockzelt. »Du magst ihn, nicht wahr?«
    Mayas Blick wich seinem zuerst aus, doch weil sie wusste, dass sie Jonathan nichts vormachen konnte und es auch nicht brauchte, nickte sie. »Ja, ich mag ihn sehr.« Wie sehr , das konnte Jonathan an dem Zittern in ihrer Stimme spüren, am Glanz in ihren Augen erkennen. Und wie sehr es Ralph erwischt hatte, las Jonathan oft genug in jedem an ihn gerichteten Brief, der aus Gloucestershire eintraf und immer auch einen für Maya enthielt.
    Maya lehnte sich entspannt zurück und lächelte ihren Bruder herausfordernd an. »Und was ist mit dir?«
    Unversehens schoss Jonathan das Blut ins Gesicht. »Ja, natürlich, ich mag ihn auch«, unternahm er den schwachen Versuch, ihre Andeutung bewusst falsch zu verstehen.
    Maya kicherte leise und stupste ihn mit der Spitze ihrer Knöpfstiefelette unterhalb des Knies an. »Du weißt genau, was ich meine.«
    Jonathan sog hörbar die Luft durch die Nase ein, räusperte sich und strich dann verlegen mit der Rückseite des Zeigefingers über seine Oberlippe. »Nein, weiß ich nicht.« Trotzig vergrub er die Hände in den Hosentaschen und starrte zum Fenster hinaus.
    »Tust du wohl«, lachte Maya und trat noch etwas fester zu. »Lüg mich nicht an! Ich habe euch nämlich beobachtet, vorgestern, beim Tee von Miss Pike. Dich und Amy Symonds!«
    »Ja, na und?«, fragte er achselzuckend. »Wir hatten uns eben lange nicht mehr gesehen.«
    »Sie ist sehr hübsch.«
    »Hm.« Hätte Jonathan nicht Zivil getragen, hätte seine Gesichtsfarbe mit dem Scharlachrot seines Uniformrockes mithalten können. Nach einer kleinen Pause fügte er zögerlich mit einem Seitenblick hinzu: »Findest du?«
    Maya nickte. »Und sehr klug und sehr nett.«
    Jonathan wusste, dass sie ihn durchschaut hatte und seufzte. »Selbst wenn sie mich wollte – an Heirat ist vorläufig nicht zu denken. Nicht ohne eine gesicherte Existenz. Und bleibe ich in der Armee, sollte ich dafür mindestens dreißig sein und schon etwas mehr als nur Assistenzarzt.«
    »In einem Jahr sieht bestimmt alles schon ganz anders aus«, sprach Maya ihm Mut zu. »Und«, fügte sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu, »wenn mich nicht alles täuscht, wird Amy geduldig auf dich warten!« Als er darauf nichts erwiderte, fragte sie leise: »Hast du schon etwas gehört?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ralph bislang auch noch nicht.« Vor gut anderthalb Wochen hatten Jonathan und Ralph zeitgleich ihre Bewerbungen ans Kriegsministerium geschickt und warteten seither auf Antwort. »Wird aber wohl nicht mehr allzu lange dauern. Die Friedensverhandlungen unserer Delegation mit dem Zaren dauern zwar noch an, aber die ersten Truppen machen sich schon bereit, in See zu stechen.«
    Maya schwieg einen Moment, sah zum Himmel, der einer tief hängenden, zähen grauen Masse glich. »Ich mag gar nicht daran denken, dass du so bald schon wieder fortgehst«, flüsterte sie schließlich. Jonathan lachte leise und stand auf. »Erstens ist noch unklar, ob sie mich wirklich nehmen und wenn ja, wann genau ich ausrücken muss. Und zweitens wird dieser Krieg nicht ewig dauern. Frankreich, England und das osmanische Heer zusammen werden dem ›russischen Bären‹ schon tüchtig das Fell ansengen und ihn dann im Handumdrehen in die Knie zwingen!« Aufmunternd stupste er mit dem Zeigefinger auf ihre Nasenspitze und deutete dann auf Ralphs Brief, der auf dem aufgeschlagenen Buch in ihrem Schoß ruhte. »Lass dir ruhig Zeit. Ich werde ihm erst schreiben, wenn du mir deinen Brief für ihn gegeben hast.«
    »Mach ich«, antwortete Maya mit einem Nicken. Auf halbem Weg zur Tür blieb Jonathan an Mayas Sekretär stehen, und sie folgte ihm mit ihrem Blick. Die Hände auf der Stuhllehne, starrte er nachdenklich auf die beschriebenen Papierbögen auf der Tischplatte, ohne dass er darin zu lesen schien. Es machte Maya nichts aus, dass er dort stand; sie wusste, dass er regen Anteil an ihrem Leben nahm, seine Nase aber nie zu tief in ihre Angelegenheiten steckte. Doch Richards jüngste Zeilen enthielten ohnehin nichts, was aufregend oder gar schockierend gewesen wäre. Seit Tagen lagen sie nun schon dort herum, und abgesehen von ein paar dürren, nichtssagenden Satzanfängen hatte sie entgegen ihrer früheren Gewohnheit noch keine Antwort zustande gebracht.
    Richard war am 16. Januar aus Cairo aufgebrochen und befand sich

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