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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Stunden in Black Hall verrinnen ließ. Die roten Polster des Sofas und der beiden Sessel waren abgenutzt von den vielen Studenten, die in all den Jahren bei den abendlichen Diskussionen mit ihrem Vater und anderen Dozenten aufgeregt darauf hin und her gerutscht waren. Mit der Fingerspitze zeichnete Maya die Umrisse eines Fleckes nach. Er stammte von einem Becher Kakao, den sie als kleines Mädchen darauf verschüttet hatte und dessen Überreste nie ganz entfernt werden konnten. Sie ließ den Kopf auf der Lehne ruhen und sah ihrem Vater zu, wie er im Lampenlicht las und schrieb, nachdenklich an der Pfeife sog und Rauchwölkchen durch den Raum schickte, die den Duft pfeffriger Vanille verbreiteten, der für Maya untrennbar mit Gerald verbunden war, soweit sie sich zurückerinnern konnte. Es schmerzte sie, ihm solchen Kummer zufügen zu müssen, und nicht einmal mehr die Tatsache, dass auch er gegen ihre Heirat mit Ralph gewesen war, hatte noch Gewicht.
    Sie fuhr zusammen, als die Standuhr mit mehrfachem leisem Pling die volle Stunde anschlug, und gleich darauf kam auch die Bestätigung vom Turm von St. Giles. Gerald Greenwood legte die kalte Pfeife in den Aschenbecher, gähnte und streckte sich. »Mach nicht mehr allzu lange, mein Herz«, empfahl er, als er herüberkam und sich über sie beugte, ihr einen Kuss auf die Wange gab.
    »Bestimmt nicht«, flüsterte Maya, umarmte ihren Vater und drückte sich fest an ihn, mühsam die Tränen zurückkämpfend, die in ihren Augen brannten.
    Gerald sah sie überrascht an, als er sich von ihr löste. Seine Tochter war heute schon den ganzen Abend so anders gewesen, besonders freundlich zu den Dienstboten, zärtlich zu ihrer Mutter, und sogar mit Angelina hatte sie ein paar nebensächliche Worte gewechselt. Erleichterung durchzog ihn, als er die Hand unter ihr Kinn legte und sachte mit dem Daumen über ihre Wange strich. »Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht«, murmelte er und küsste sie leicht auf die Stirn. »Gute Nacht, Maya.«
    »Gute Nacht, Vater«, erwiderte Maya, und sie glaubte, an dem Kloß ersticken zu müssen, der in ihrer Kehle steckte, als er ging.
    Es war still im Haus. So still, dass Maya ihr Herz klopfen hörte, viel schneller, als es die Standuhr vorgab. Bald würde Jonathan kommen und sie holen. Ihre Reisetasche stand schon seit dem Dinner draußen im Garten, im Schutz der Mauer. Wenig hatte darin Platz gehabt, aber wenig war es auch, woran Maya hing: ein frisches Kleid, Wäsche zum Wechseln und Strümpfe, ein Nachthemd samt Morgenrock, ihre Haarbürste und eine Handvoll Toilettenartikel, ihr indischer Schal und ein Bündel Briefe, Ralphs und Richards, trotz allem, mit einem Seidenband zusammengebunden. Mayas Magen rumorte unruhig, vor freudiger Erwartung und Angst. Bald, sehr bald, würde sie an Ralphs Seite sein, für immer dieses Mal, und mit ihm in ein abenteuerliches neues Leben aufbrechen. Trotzdem wünschte sie sich auch, hierbleiben zu können, nicht all das zurücklassen zu müssen.
    Als sich eine Silhouette im Türrahmen bewegte, sah sie auf. Es war Jonathan, der so leise die Treppe hinuntergeschlichen war, dass sie ihn nicht kommen gehört hatte. Mit einem tiefen Durchatmen stand sie auf, nahm die Lampe mit und folgte ihm durch ein nächtliches Black Hall, das von nun an nicht mehr ihr Zuhause sein würde.
    Sie warf ihr Cape um, das Jonathan mitgebracht hatte, und zog die Kapuze tief ins Gesicht, als sie durch die Gartentür ins Freie schlüpften. Draußen goss es; in Strömen prasselte der Regen auf Kies und Rasen, füllte die Pfützen, die sich bereits gebildet hatten, gurgelte in den Regenrinnen des Hauses. Die Lampe, über deren Zylinderöffnung Jonathan schützend die Hand hielt, gab kaum Licht in dieser nassen Finsternis, und der Weg zum Gartentor kam Maya unendlich lang vor.
    Als Jonathan am Abend die Tasche dort platziert hatte, hatte er auch gleich das schmiedeeiserne Tor aufgeschlossen, das Jacob immer sorgsam bei Einbruch der Dunkelheit versperrte, sodass Maya es nun einfach aufziehen konnte. Nur wenige Schritte davon entfernt, vorne von zwei Laternen beleuchtet, wartete der geschlossene, vierrädrige Wagen mit zwei Pferden und einem missmutig dreinblickenden Kutscher, dem das Wasser in Rinnsalen von der Krempe des Hutes und seinem voluminösen Mantel floss. Jonathan öffnete ihr den Wagenschlag, und Ralph sah ihnen entgegen, nahm Maya die Tasche ab und verstaute sie im Fußraum. Maya fiel Jonathan um den Hals. »Danke, tausend

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