Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
Vom Netzwerk:
ein Wagen und Ralph säße darin, bereit, dich mitzunehmen. Was würdest du tun?«
    Mayas Stirn legte sich in Falten, ebenso verständnislos wie zornig, als wollte sie ihn schelten, ihr nicht eine solch überspannte und gänzlich hypothetische Frage zu stellen. Dann begriff sie. »Er ist hier? In Oxford?«
    Ihr Bruder nickte. »Seit gestern. Er ist auf dem Weg nach Kent, wo er in das gleiche Regiment eintreten wird wie ich.« Hoffnung, Glück, Sehnsucht huschten über Mayas Gesicht, eine ganze Bandbreite an Regungen, die sich in ihrer Mimik abwechselten, sie belebten. Spätestens jetzt hätte sich Jonathan so entschieden, wie er es in den frühen Morgenstunden nach einer schlaflosen, durchgrübelten Nacht getan hatte, ehe er am Vormittag Ralph im Angelaufgesucht hatte. »Er wird heute Nacht draußen vor dem Tor auf dich warten, Maya, und hat mir sein Ehrenwort gegeben, unverzüglich mit dir über die Grenze zu fahren, nach Schottland, wo ihr euch trauen lassen könnt, wenn du mit ihm gehen willst.«
    Maya atmete tief durch. »Und ob ich das will!«
    »Gut, pass auf: Ich habe vom Speicher schon eine Reisetasche geholt. Ich bringe sie dir nachher, dann kannst du packen. Viel wirst du nicht mitnehmen können, aber zumindest das Nötigste für ein paar Tage. Die Tasche schmuggle ich nach Einbruch der Dunkelheit unten an die Mauer, damit sie griffbereit dort steht, wenn Ralph kommt.«
    Maya sah zum Haus hinüber, dann auf ihre und Jonathans Hände, die sich umfasst hielten. »Was werden Mutter und Vater sagen, wenn herauskommt, dass du mir geholfen hast?«
    »Na, mehr als enterben können sie mich nicht«, entgegnete Jonathan mit einem Schmunzeln und streichelte dann Mayas Wange. »Sie werden es nicht erfahren. Wenigstens habe ich nicht vor, es ihnen auf die Nase zu binden. Lass nur eine Notiz auf deinem Sekretär liegen, dass du mit Ralph durchgebrannt bist, damit sie sich nicht allzu sehr sorgen.« Als Maya nickte, schloss er sie in seine Arme. »Außerdem werde ich doch auch übermorgen fahren. Und bis ich aus dem Krieg zurück bin, haben sich die Wogen ohnehin geglättet.«
    Maya befreite sich langsam aus seiner Umarmung und sah ihn ernst an. »Und was wird aus dir und Amy?« Ihr Durchbrennen würde das Ansehen der Familie beschmutzen, das wusste Maya, die auf den Teekränzchen ihrer Mutter das eine oder andere hinter vorgehaltenem Fächer getuschelte Gerücht aufgeschnappt hatte.
    Jonathan lächelte, strich ihr mit dem Finger ein loses Haar aus der Stirn. »Mach dir keine Gedanken. Amy hat mir ihr Versprechen gegeben, auf mich zu warten, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Mr. Symonds mir wegen meiner leichtsinnigen Schwester gram wäre.« Sein Lächeln verschwand, und er sah sie so eindringlich an, als wollte er sich jedes Detail ihres Gesichts ganz genau einprägen. »Jetzt ist erst einmal nur wichtig, dass du endlich glücklich wirst. Darauf hast du viel zu lange gewartet.« Er ließ sie los und bot ihr galant seinen Arm an. »Komm, lass uns eine ordentliche Runde durch den Garten drehen, damit unsere Tarnung perfekt ist.« Den Kopf in den Nacken gelegt, blickte er zum Himmel, an dem sich stahlgraue Wolkenmassen zusammenschoben und die blauen Felder dazwischen bedrängten und verschluckten. »Es fängt ohnehin in Kürze wieder an zu regnen.«
    »Maya!« Gerald Greenwood hob überrascht den Kopf, als das zarte Klopfen am Türrahmen seines Arbeitszimmers ihn aus seinen Gedanken riss. Wie gewöhnlich hatte er vergessen, die Tür zu schließen, was unweigerlich am nächsten Morgen dazu führen würde, dass Martha sich darüber beschwerte, man röche den kalten Pfeifenrauch im ganzen Haus. Die bewusste Pfeife nahm er jetzt aus dem Mund und sah seine Tochter über die Brille hinweg an, die er neuerdings zum Lesen benötigte. »Was treibt dich so spät hierher?«
    »Darf ich mich noch zu dir setzen und ein wenig lesen?«
    »Natürlich, Kind, natürlich!« Er schwenkte die Pfeife in Richtung der Sitzgruppe gegenüber seinem Schreibtisch, ehe er sich wieder über seine aufgeschlagenen Bücher und Notizen beugte. »Mach’s dir bequem.« Maya durchquerte den Raum, griff sich wahllos ein Buch aus einem der Regale, die sich die Wände entlangzogen, entzündete die Lampe auf dem Tisch und kuschelte sich in eine Ecke des Sofas. Zwar schlug sie das Buch auf der ersten Seite auf, war aber mit ihren Augen und Gedanken ganz woanders, während die Standuhr in der Ecke hinter dem Schreibtisch mit ihrem leisen Ticken Mayas letzte

Weitere Kostenlose Bücher