Unter dem Safranmond
Dank«, flüsterte sie ihm zu und küsste ihn auf die Wange. Sein Gesicht war nass, schmeckte salzig, und sie wusste nicht, ob es seine Tränen waren oder ihre eigenen, die sich mit den Regentropfen vermischten.
»Auf bald, gib auf dich acht«, erwiderte er heiser, presste sie noch einmal fest an sich, ehe er sich freimachte und ihr in die Kutsche half.
Über sie hinweg ergriff Ralph Jonathans Hand. »Danke, Joe, das werde ich dir nie vergessen.«
Jonathan nickte. »Pass bloß gut auf sie auf, sonst mache ich dir mächtigen Ärger!«
Ein Grinsen flog über Ralphs Gesicht. »Ehrenwort. Wir sehen uns in Walmer!« Jonathan ließ die Tür zuschnappen und hob die Hand zum Gruß, als der Kutscher die Zügel schnalzen ließ und der Wagen anrollte, die Black Hall Road hinauf, in Richtung der Felder vor der Stadt.
Maya schob die Kapuze herunter und blickte aus dem Rückfenster, sah zu, wie Jonathan sich entfernte: ein schlaksiger Schattenriss vor der Mauer, vom Lichtpunkt der Laterne beschienen. Ganz so, als hielte er Wache, um verirrten Seelen den Weg nach Hause zu leuchten. Erst als der Wagen abbog, das Sichtfenster nur noch nächtliche Dunkelheit zeigte, drehte Maya sich auf dem stramm gepolsterten Ledersitz um, schälte sich aus dem nassen Cape und schob es beiseite. Geduldig hatte Ralph gewartet, bis sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte. Lange sahen sie sich nur an, Schemen im unbeleuchteten Wageninneren. Dann spürte Maya Ralphs Hände sachte über die Konturen ihres Gesichts streichen, als sei er blind und müsste sich vergewissern, dass sie es wirklich war. Er küsste sie, auf die Stirn, auf die Wangen, den Mund, wie aus Dankbarkeit, und Mayas ganzer Abschiedsschmerz war vergessen. Sie rutschte in seine Armbeuge hinab, wärmte sich an ihm, und das Trommeln des Regens auf dem Dach, das gleichmäßige Rattern der Räder und das Hufgeklapper machten Maya schläfrig. Wir sind zusammen – nun ist alles gut … alles ist gut … ist gut …
Sie ließen Oxford mit seinen Türmen hinter sich, passierten das schlummernde Summertown, als sie weiter in die Nacht hineinfuhren, Richtung Birmingham, wo sie am nächsten Morgen den Zug nehmen würden, in den Norden, bis hinter die Grenze zu Schottland, nach Gretna Green.
12
Lachend sprangen sie die schon ausgetretenen Stufen unter dem abgewetzten grünen Läufer hinauf, rannten den Korridor entlang und ließen sich atemlos gegen die weißlackierte Tür des Hotelzimmers fallen.
»Halt mal bitte.« Gehorsam nahm Maya die unterzeichnete Hochzeitsurkunde entgegen, während Ralph die Tür sperrangelweit öffnete. »Nein, warte«, rief er lachend, als Maya hineingehen wollte, fasste sie um die Taille und nahm sie schwungvoll auf den Arm. »Wir machen das, wie es sich gehört, sonst bringt es womöglich noch Unglück«, erklärte er augenzwinkernd, als er Maya über die Schwelle trug und der Tür einen Tritt gab, dass sie knallend hinter ihnen ins Schloss fiel. »Ah, sehr schön, der Champagner, wie bestellt!«, rief er aus und ließ Maya vorsichtig neben dem runden Tisch vor dem Kamin nieder. Während Ralph die Flasche aus dem eisgefüllten Kühler zog und sich an deren Korken zu schaffen machte, legte Maya die Urkunde auf den Sekretär neben der Tür, daneben ihren Brautstrauß, ein bescheidenes Gebinde aus Veilchen und Schlüsselblumen, das sie auf dem Weg zur Schmiede Kindern abgekauft hatten, die an den Hochzeitspaaren des Dorfes ein paar Münzen verdienen wollten.
Aufmerksam ließ sie ihre Blicke durch das Zimmer schweifen, während sie ihre Handschuhe auszog. Es war alles so schnell gegangen, dass sie noch gar keine Gelegenheit gehabt hatte, sich in diesem Zimmer umzuschauen, das sie heute am Spätnachmittag als Miss Greenwood verlassen hatte und in das sie nun gegen Abend als verheiratete Frau zurückgekehrt war. Unwillkürlich berührte sie den schmalen Goldreif an ihrem linken Ringfinger, den Ralph am Nachmittag vor ihrer Flucht noch in Oxford gekauft hatte und der nur ein ganz klein wenig zu locker saß.
Die rote Tapete war an einigen Stellen unterhalb der Decke ausgefranst, pellte sich dort von den Wänden ab, biss sich mit dem verschossenen Grün der Vorhänge vor dem einzigen Fenster, genauso wie der dünne Teppich in Blau- und Gelbtönen, der auf den Dielen ausgebreitet war, nicht dazu passte. Zu dem runden Tisch gehörten zwei Sessel, deren hellblaue Polster so abgewetzt waren, dass man die Füllung aus Rosshaar hervorschimmern sah. Dahinter öffnete sich die
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