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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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geistesabwesend sein bis dahin unberührtes Scone auf dem Teller zu zerkrümeln. »Einsilbig ist sie geworden, wie versteinert. Sogar ihre Arabischstunden bei Professor Reay hat sie aufgegeben. Und selbst mir gelingt es nicht, zu ihr durchzudringen.« Er schob ein paar der Bröckchen aus locker gebackenem Teig mit der Fingerspitze auf dem Tellerrand hin und her. »Ich weiß nicht, was werden soll, wenn ich in ein paar Tagen nicht mehr hier sein werde«, murmelte er ratlos.
    »Dann hilf uns«, bat Ralph, die verschränkten Unterarme auf den Tisch gestützt. »Nicht meinetwegen, sondern um Mayas willen.«
    Jonathan sah seinen Freund lange an. Auch Ralph hatte in der Zwischenzeit seine Einberufung erhalten, ebenfalls zur Rifle Brigade . Jonathan wusste, dass damit für Ralph ein kleiner Traum in Erfüllung ging.
    Dieses Regiment, dessen Colonel-in-Chief Prinzgemahl Albert war, hatte einen exzellenten Ruf. Es war das erste Regiment, in dem das Auspeitschen als Disziplinarmaßnahme abgeschafft worden war, in dem man die Sitte eingeführt hatte, dass die Offiziere regelmäßig mit ihren Männern dinierten, um so eine familiäre Atmosphäre zu schaffen und den Zusammenhalt zu stärken. Regelmäßig gab es Schieß- und Sportwettkämpfe und interne Auszeichnungen, um den Ehrgeiz der Soldaten anzustacheln. Die »Grashüpfer«, wie die Soldaten des Regimentes aufgrund der dunkelgrünen, schwarz abgesetzten Uniform genannt wurden, waren hervorragende Scharfschützen, die paarweise oder auf sich allein gestellt außerhalb der Gefechtsordnung operierten. Große Ehren hatte die Rifle Brigade noch unter ihrem alten Namen 95th Rifles in den Napoleonischen Kriegen errungen. Legendär war die Geschichte eines Soldaten, der damals im Krieg auf der iberischen Halbinsel mit seinem Baker-Gewehr einen französischen General aus einer Entfernung von mehreren hundert Yards erschossen und gleich darauf einen weiteren Franzosen niedergestreckt hatte, der seinem General zu Hilfe eilen wollte. Und jüngst waren die Rifles auch siegreich aus zwei Kriegen in Südafrika hervorgegangen.
    Doch Jonathan konnte in Ralphs Gesicht weder Anzeichen von Jubel noch Stolz auf seine künftige Zugehörigkeit zu diesem Regiment erkennen. Er war blass, seine Augen ungewöhnlich ernst; er wirkte äußerst besorgt und so übernächtigt, als wäre er nicht von Gloucestershire nach Oxford gereist, sondern um den halben Erdball. Jonathan hätte den beiden in den vergangenen Wochen gerne weiterhin als Postillon d’Amour zur Verfügung gestanden. Er hatte es aber für klüger gehalten, der Anordnung seiner Eltern Folge zu leisten, einen Briefwechsel zwischen Ralph Garrett und Black Hall im Allgemeinen für eine gewisse Zeit auszusetzen, bis sich die Gemüter beruhigt hätten.
    »Sollte … sollte ich fallen«, Ralph schluckte und schob mit seinem Zeigefinger die Zuckerdose zuerst ein wenig von sich weg, dann ein Stückchen nach links und wieder nach rechts, »so wüsste ich Maya wenigstens unabhängig und versorgt. Zwar nur mit einer kleinen Pension und der bescheidenen Summe, die ich geerbt habe, aber immerhin. Das ist mehr, als sie jetzt haben dürfte.«
    »Falls ich euch helfe – falls! «, betonte Jonathan scharf, als Ralph bei seinen Worten hoffnungsvoll den Kopf hob, »was wird dann aus Maya, während du im Feld bist?«
    Ralph zuckte mit einer Achsel, während er die Zuckerdose weiterwandern ließ. »Sie kann bei meiner Familie in Montpellier House bleiben. Sie und Isabel würden gewiss wunderbar miteinander auskommen. Oder sie begleitet mich einfach.« Dass Soldaten aller Ränge ihre Frauen und Kinder mit in den Krieg nahmen, wo sie für dessen Dauer hinter den Frontlinien lebten, war nichts Ungewöhnliches und durchaus von den Oberbefehlshabern gewünscht – eine Sitte, die Jonathan ganz persönlich zweifelhaft fand; seiner Meinung nach hatten Frauen und Kinder an einem Kriegsschauplatz rein gar nichts zu suchen. »Das soll sie ruhig selbst entscheiden«, fuhr Ralph fort. »Lange wird dieser Krieg ohnehin nicht dauern, und dann kehre ich mit ihr nach Indien zurück.«
    Tief durchatmend stützte Jonathan die Ellenbogen auf den Tisch und rieb sich mit den Händen über das Gesicht, in der vergeblichen Hoffnung, so einen klaren Kopf zu bekommen. Vorzeitig war Ralph aus Cheltenham in Richtung Kent aufgebrochen, um diesen Umweg über Oxford zu machen. Ein Page des Hotels Angel in der High Street hatte Jonathan seine Nachricht überbracht, der Ralph dort abgeholt

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