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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Fuß. Zu Fuß, Maya! Ins Lazarett, obwohl die Zustände dort auch nicht viel besser sein sollen. Aber wenigstens sind sie weg von der Front.
    Mit meinen herzlichsten Grüßen, auch an Ralph
    J.
    Sebastopol, Dezember 1854
    Endlich! Ich bin froh zu hören, dass die Schlacht von Inkerman unsere Lage in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt hat, dass zumindest hitzige Diskussionen im Gange sind, wie sich die unerträglichen Zustände hier verbessern ließen. Ich kann allerdings nur hoffen, dass die Politiker nicht nur reden, sondern auch schnell genug handeln …
    Erst, wenn ich einen Brief an Dich abgeschickt habe, fällt mir ein, was ich alles Schreckliches hineingeschrieben habe. Verzeih, dass ich diese Gräuel bei Dir ablade – aber ich wüsste nicht, wem gegenüber ich sonst mein Herz ausschütten könnte. Mutter und Vater gewiss nicht! Und Amy sorgt sich ohnehin so sehr. Ich habe alle Mühe, sie davon abzuhalten, hierherzukommen und im Corps von Miss Nightingale Dienst zu tun. Respekt, was diese Dame in Scutari leistet! Besonders unter diesen mehr als widrigen Umständen … Aber Amy will ich dort nicht wissen – sie soll das nicht sehen. Und komm auch Du bloß nicht auf den verrückten Einfall, ein gutes Werk tun zu wollen! Es reicht, wenn einer von uns sich das antut. Mensch, wie ich Ralph um seinen Posten beneide – er ist doch wirklich ein Glückspilz! Ich sage mir jeden Tag tausend Mal, dass ich das überstehen werde, heil und unbeschadet – dann erhole ich mich erst einmal bei Euch, hocke tagelang in einem der hübschen Kaffeehäuser, die ich nach Deinen Beschreibungen in allen Details vor mir sehen kann, und lasse mich von der Sonne verwöhnen. Und nach der Hochzeit mit Amy mache ich es mir in Oxford gemütlich und behandle nichts Schlimmeres als Gicht, Erkältungen und Magenleiden, schaue meinen Kindern beim Aufwachsen zu und werde höchstens meinen Enkeln irgendwann einmal von diesem verdammten Krieg erzählen.
    Sentimentale Grüße,
    J.
    Januar 1855
    Nein, ich mag einfach nicht mehr über Kranke und Tote schreiben. Dieses Thema könnte inzwischen ganze Bände füllen, und ändern würde ein Brief von mir daran ohnehin nichts. Dieser Krieg ist ein einziges Desaster, und die Belagerung der Stadt offenbar ohne Ende. Wie wollen wir den Krieg gewinnen, wenn wir keine Männer mehr haben, die kämpfen können, weil Krankheiten, Erfrierungen und Hunger sie zu Hunderten, zu Tausenden dezimiert oder kampfunfähig gemacht haben? Immer wieder habe ich den Eindruck, mich gar nicht in der Realität zu befinden, sondern im Fiebertraum eines Wahnsinnigen … Und ich habe ernsthaft Angst, den Verstand zu verlieren, wie so viele der Männer, die unter dem Granatenbeschuss in den Schützengräben ausharren. So viele, die desertiert sind oder sich in ihrer Not selbst eine Kugel in den Kopf gejagt haben, um ihrem Leid ein schnelles, schmerzloses Ende zu setzen. Dieser Krieg wird eine Generation von Krüppeln nach Hause entlassen, Krüppel an Leib und Seele – ein Krieg, der nicht einmal der unsere ist, sondern der zweier fremder Mächte.
    Also lieber zu angenehmeren Dingen. Ha, was habe ich mich über Dein Erlebnis auf dem Basar amüsiert! Ich kann mir Dein verdutztes Gesicht lebhaft vorstellen, als Dich die Bauersfrau mit ihrem Wortschwall auf Arabisch überschüttet hat, weil sie glaubte, Du seist eine von ihnen, nur in europäischer Kleidung! Jede Wette – in einheimischer Tracht würdest Du gar nicht auffallen! Und ich bin stolz auf Dich, dass Du die Sprache schon so gut beherrschst und Du Dich einigermaßen mit ihr verständigen konntest.
    Wie gerne wäre ich jetzt bei Euch im sonnigen Aden! Dass meine Schrift so krakelig ist, liegt an der Kälte, ich friere mir hier die Finger (und noch einige andere Körperteile mehr) ab; ich musste sogar das Tintenfass erst zwischen den Handflächen erwärmen, ehe ich die Feder hineintunken konnte. Weißt Du noch – letzten Winter, als es zuhause so kalt war? Meine Güte, ich denke so oft an Zuhause, und Mutter und Vater, an Angelina und Dich – letztes Jahr, als wir ganz andere Sorgen hatten, die uns damals doch so gewaltig erschienen, und unlösbar. Was uns das neue Jahr wohl bringen wird? Frieden, hoffentlich, und endlich eine Passage nach Hause …
    J.
    Natürlich schrieb Maya in diesen Monaten so häufig, so heiter und ausführlich nach Sebastopol, um ihren Bruder aufzumuntern, zumindest für die wenigen Augenblicke, in denen er ihre Briefe las. Um ihn für kurze

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