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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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eine noch größere Expedition zu den Quellen des Nils vorzubereiten.«
    »Davon träumst du schon so lange.«
    Richard lachte auf und riss einen Grashalm aus einer Steinfuge heraus, drehte ihn zwischen den Fingern, vermied es aber weiterhin, Maya anzusehen. »Allerdings schreibt mir die Verwaltung in Bombay vor, keine unnötigen Risiken einzugehen. Die Expedition wird auch keine offizielle sein, sondern eine von mir privat unternommene, ohne Geleitschutz durch Soldaten. Ich allein trage die Verantwortung. Derzeit kennt kein Weißer die genaue Lage von Harar, der verbotenen Stadt, weil es bei den Eingeborenen heißt, dass sie unweigerlich untergehen wird, sobald der erste Christ sie betritt. Die Forscher, die versucht haben, sich ihr zu nähern, berichten von einem barbarischen und blutrünstigen Volk, dessen Herrscher Abu Bekr seine Brüder und weitere Mitglieder seiner Familie im Kerker seines Palastes gefangen hält. Wer je einen Anlauf dorthin unternommen hat, musste noch auf dem Weg dorthin umkehren und um sein Leben laufen.«
    Unwillkürlich musste Maya lächeln. »Nach all den Jahren nun also so etwas wie ein Abschied!«
    Er wippte auf sein Knie gestützt vor und zurück, als plagte ihn Unentschlossenheit, dann warf er den Grashalm, den er immer noch in der Hand hielt, fort und kam auf sie zu.
    »Du liebst diese Art von Auftritten, nicht wahr?«, platzte sie heraus, den Kopf leicht schräg gelegt und ein angriffslustiges Funkeln in den Augen. »Diese dramatischen Inszenierungen. Wärst du kein Forschungsreisender, wärst du Schauspieler geworden. Deshalb immer nur ein plötzliches Auftauchen aus dem Nichts – nie ein wirklicher Abschied, der ja nicht halb so effektvoll wäre, dich vielleicht tatsächlich berühren könnte!«
    Er blieb vor ihr stehen und legte sachte die Hand gegen die Winkelung zwischen ihrem Unterkiefer und ihrem Hals. »Immer, wenn ich dich ansehe, ist mir, als würde ich in einen Spiegel schauen.«
    Sie schluckte, sammelte behutsam die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, und ließ sie zaghaft aus ihrem Mund gleiten. »Läufst du deshalb vor mir davon, seit ich dich kenne?«
    Sein Versuch eines Lächelns misslang, und seine Stimme wurde leise, zittrig, als schnürte ihm etwas die Kehle zu. »Wie kann ich vor der anderen, besseren Hälfte meines unvollkommenen Wesens davonlaufen? Du bist doch immer bei mir, wohin ich auch gehe.«
    Maya schossen Tränen in die Augen, und etwas bäumte sich in ihr auf. »Warum hast du mich dann damals nicht –   «
    »Schht«, machte er, während ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht zuckte, und legte ihr seinen Daumen auf ihre Lippen. »Wer kann es schon ertragen, jede Sekunde sich selbst in die Augen zu sehen?«
    Wütend schlug Maya seine Hand von ihrem Gesicht. »Ach, fahr doch zur Hölle!«, schrie sie und lief davon, den steinigen Pfad hinab.
    »Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madam«, rief er ihr hinterher, doch Maya verschloss ihre Ohren und ihr Herz vor seiner Stimme, seinen Worten.
    Sie wusste, dass er ihr nachsehen würde, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, und auch, dass er ihr nicht nachgehen würde – seine Art, Abschied zu nehmen. Ihr war klar, dass sie es nicht besser machte, floh sie doch auch vor ihrem eigenen Spiegelbild, weil sie dieses ebenso fürchtete wie er das seine.
    Lange saß Maya an diesem Tag auf der Veranda, Jane Eyre aufgeschlagen auf ihrem Schoß. Anfangs im hellen Licht des Nachmittags, später mit einer Lampe zu ihren Füßen, die einen zarten Schimmer in der Dunkelheit hinterließ. Doch sie blätterte keine einzige Seite weiter, noch hätte sie zu sagen vermocht, wo ihre Gedanken indes weilten. Sie wartete auf Ralph, versuchte sie sich selbst einzureden. Doch mehr noch wartete sie darauf, dass wieder ein Tag vorbei sein würde; auf eine Nacht, die die Seligkeit des Schlafes, aber dennoch keine Erholung brachte, ehe ein neuer Tag anbrach, der ebenso leer sein würde wie der vorangegangene.
    Endlich hörte sie Schritte, unsicher, bemüht fest auftretend, und Ralphs vertraute Silhouette erschien auf der Veranda. Maya sprang auf und warf sich ihm entgegen, schlang die Arme fest um ihn, hielt ihn dabei in seinem wackeligen Gleichgewicht und bemühte sich, seine Alkoholfahne zu ignorieren, als sie ihn zärtlich küsste. »Ich habe so lange auf dich gewartet! Warum kommst du wieder so spät?«
    »Ich hatte zu tun«, erklärte er träge und erwiderte flüchtig ihren Kuss, schob sie dann sanft beiseite und ging ins

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