Unter dem Safranmond
schreiben, darauf, am wackeligen Tisch des vorderen Zimmers Stunden damit zu verbringen, Szenen noch einmal vor ihrem inneren Auge ablaufen zu lassen, Bilder aus der Erinnerung heraufzubeschwören und auszuschmücken, die Worte dafür sorgfältig auszuwählen, auf der Zunge zergehen zu lassen und schließlich niederzuschreiben. Zeit hatte sie dafür im Überfluss, und es war die einzige Zeit, in der sie sich wirklich und wahrhaftig glücklich fühlte.
Aus diesem Grund runzelte sie unwillig die Stirn, als es an diesem Tag Mitte Februar klopfte, legte dann aber doch seufzend den Federhalter beiseite und öffnete die Tür, in deren Rahmen sie wie vom Donner gerührt stehen blieb.
» As-salamu aleikum «, begrüßte Richard sie, so selbstverständlich und nebensächlich, als sei er erst vor drei Wochen zum Essen hier gewesen. Hager war er geworden, und tiefbraun, wäre trotz seines europäischen Anzugs mühelos als Araber oder Nordafrikaner durchgegangen. Doch unter seiner sonnengefärbten Haut wirkte er fahl, hinter der unbändigen Energie, die er versprühte, müde, ausgelaugt, fast krank.
» Wa aleikum as-salam «, antwortete Maya mechanisch, gelähmt vor Überraschung wie mühsam unterdrückter Freude. Doch es gelang ihr nicht ganz, das Lächeln, das sich auf ihr Gesicht drängte, zurückzuhalten, und so ließ sie es schließlich geschehen. »Du hast es also geschafft!«
»Hat sich das noch nicht herumgesprochen?«, lachte er und breitete den einen Arm aus, während er unter dem anderen ein umfangreiches Paket, eingeschlagen in braunes Papier und mit einer Kordel verschnürt, festhielt. »Du darfst mir gratulieren! Als ›Mirza Abdullah‹ war ich mit meinen Gedichten und den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht , mit meinem Wissen um das Erstellen von Horoskopen und meinen Taschenspielertricks die Sensation am Hof des Gouverneurs von Zayla, und ebenfalls in dieser Verkleidung betrat ich nicht nur die verbotene Stadt von Harar, sondern auch den Thronsaal des gefürchteten Emirs, der mir sogar die Hand zum Kuss darbot. Worauf ich natürlich nicht einging, da ich eine solche Geste als allein der holden Weiblichkeit vorbehalten betrachte; mit dem Ergebnis, dass es zehn Tage dauerte, bis ich die Erlaubnis des Emirs erhielt, die Stadt wieder zu verlassen, um über Berbera zurückzukehren. Einmal Harar und zurück – als erster Europäer!!« Ein teuflisches Funkeln stand in seinen Augen, als er leise hinzufügte: »Oder hätte ich besser sagen sollen: einmal Hölle und zurück?«
Maya errötete, senkte die Lider und kaute auf ihrer Unterlippe. »Dein Gedächtnis ist bemerkenswert«, versetzte sie schnippisch, und er lachte, gab ein kurzes Seufzen von sich.
»Ja, welch seltsame Streiche einem das Gedächtnis doch manchmal spielt! Die wichtigsten Ereignisse im Leben sind oft verschwommen wie ein Traum, während die Erinnerung die unwichtigsten Kleinigkeiten peinlich genau bewahrt.« Sie sah auf, als er das Paket unter dem Arm hervorholte und in seinen überschlanken Händen wog. »Und ehe du mich wieder ohne Umschweife fragst, was ich hier will … Meine Zeit ist knapp, die Quellen des Nils rufen! Dieses Mal in Begleitung von Speke. Der scheint ja ohnehin gekommen zu sein, um in Afrika zu sterben – nachdem er alles abgeschossen hat, was ihm vor die Flinte geraten ist«, spöttelte er gutmütig und voller Sympathie. »Deshalb wollte ich nur kurz vorbeischauen, um dir das hier zu geben.«
»Was ist das?«, wollte Maya wissen, als sie das Paket entgegennahm.
»Bücher. Ich hatte sie vor meiner Abreise bestellt, und sie haben hier geduldig gewartet, bis ich sie dir nun persönlich vorbeibringen kann.« Maya murmelte einen Dank mit erneut gesenktem Blick, weil sie nicht wollte, dass er das überwältigende Glück über dieses Geschenk darin sah. »Die drei Bände meiner Pilgerreise – und Sturmhöhe. Damit du auch einmal einen wirklich guten Roman zu lesen bekommst.«
Sie sah ihn listig an. »Ist der Unterschied zwischen Mr. Rochester und Heathcliff so groß?« Richard nickte bedächtig, als er seinen Hut abnahm und ihn über seinen Fingern kreisen ließ. »Allerdings. Heathcliff hält keine wahnsinnige Frau auf dem Dachboden versteckt.« Leise setzte er hinzu: »Genauso wenig wie ich.«
Maya schluckte, wich seinem eindringlichen Blick zunächst aus, ahnte sie doch, dass er ihr mit diesen Anspielungen etwas mitteilen wollte, bis ein Hauch des Begreifens sie streifte: Richard warb um sie, auf seine eigene,
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