Unter dem Schatten des Todes - Brack, R: Unter dem Schatten des Todes
wieder die Arbeit machen«, sagte Svarta und griff nach der Serviette, die über dem Flaschenhals lag. Klara kam ihr zuvor und hob die Flasche aus dem Eis. Für einen kurzen Moment glitt Klaras Hand über den weichen Stoff. Svarta zog ihre Hand sofort wieder zurück.
»Bitte«, sagte sie. »Aber pass auf, dass du dir die Krawatte nicht nass machst.« Sie ließ sich zurückfallen und lachte auf.
Klara starrte sie an. Es war eigenartig, ein lachendes und ein totes Auge in einem Gesicht zu sehen. Und dann dieser dumme Gedanke, das Glasauge könnte herausfallen. Hastig griff sie nach der Flasche und schenkte ein. Der Schaum quoll über den Glasrand.
Svarta hörte auf zu lachen, beugte sich vor und stoppte die herunterlaufenden Bläschen mit dem Zeigefinger. Der Samthandschuh saugte die Flüssigkeit auf.
Klara drückte die Zigarette aus und griff nach ihrem Glas. Sie stießen an und tranken.
Was wäre, wenn ich sie bitten würde, das Auge herauszunehmen, sich noch einmal dieses aus der leeren Höhle fließende Blut ins Gesicht zu schminken. Bestimmt haben schon viele Männer extra dafür bezahlt.
Svarta schüttelte den Kopf: »Denk dir nichts Falsches, ich gehe niemals mit einem mit … jedenfalls nicht von hier.« Klara zuckte mit den Schultern und griff nach der Manoli-Schachtel. Kaum hatte sie die Zigarette im Mund, näherte sich eine Hand mit Feuerzeug, schnippte es auf und eine blaugelbe Flamme brannte auf.
»Edogawa Rampo«, sagte der Japaner. »Black cat … terrible story …« Er sah Svarta an und hielt dabei Klara das brennende Feuerzeug hin. Sie schob seinen Arm beiseite und zog ihre Streichhölzer aus der Jackentasche.
»You know why man cuts out eye of cat?«, radebrechte der Matrose.
Hinter ihm stand ein Zweiter, dem er beinahe mit dem Feuerzeug den Ärmel angezündet hätte. Der Zweite schlug auf seinen Arm und der Japaner drehte sich wütend um. Sie begannen einen lautstarken Streit.
»Was will er denn?«, fragte Klara.
»Zeigen, dass er ein schlauer Bursche ist. Dass er erkannt hat, dass Die schwarze Katze eine Geschichte von Edgar Allan Poe ist. Eine dumme Geschichte … ich mag sie nicht.«
»Aber du spielst diese Rolle …«
»Willst du mich aushorchen?«
»Nein, ich will mit dir trinken.« Klara griff nach ihrem Glas und trank es aus.
»Ich auch«, sagte Svarta. »Und ich will dich aushorchen.« Zwei starre grüne Augen blickten Klara an. Ich bin jetzt schon betrunken, dachte sie. Svarta schenkte nach. Sie stießen an und tranken hastig.
»Aushorchen? Warum nicht. Du weißt bestimmt sehr genau, wie so was geht.«
Svartas rote Lippen näherten sich. Dieses verdammte grüne Auge, das lebendige, das so allein ist. Die Hand mit dem Samthandschuh legte sich auf Klaras Oberschenkel. »Erzähl mir was von dir.«
»Es gibt nicht viel zu erzählen. Ich bin heimatlos, einsam, habe zu viel Geld für diese Flasche Champagner ausgegeben … ich warte auf meinen Einsatzbefehl …«
Sie kriegt die Katze wirklich gut hin, dachte Klara, so wie sie sich anschleicht und den Buckel macht.
»Wer gibt dir denn Befehle, kleine Deutsche?«, fragte Svarta.
Klara fühlte sich schlagartig müde. »Die Revolution … ich bin eine Soldatin der Revolution …«, sagte sie matt und schrie auf, als die Krallen der Katze sich in ihren Oberschenkel bohrten.
Stühle wurden gerückt und drei Japaner saßen mit einem Mal an ihrem Tisch. Eine weitere Champagnerflasche wurde geordert und eine Flasche Schnaps. Auf der Bühne ging das Programm mit den anderen Tänzerinnen weiter.
Der Matrose, der den Namen Edgar Allan Poe wie »Edogawa Rampo« aussprach, begann mit einem weitschweifigen Vortrag über seine literarischen Kenntnisse. Seine Kumpane, die noch schlechter Englisch sprachen, steuerten gelegentlich bruchstückhafte Zoten bei. Die beiden Frauen ließen sich durch den spendierten Alkohol zum Bleiben verleiten und rückten näher zusammen. Irgendwann trug Svarta zu ihrem schwarzen Kleid die rote Krawatte, und Klara hatte sich das Jackett ausgezogen, die Ärmel der Bluse hochgekrempelt und die Samthandschuhe übergestreift.
Klara verlor den Überblick. Als der Japaner sich gerade in einer labyrinthischen Beschreibung der »Tatsachen im Fall Valdemar« erging, glaubte sie einen Geist zu sehen. Ein großer, kräftiger Mann prostete ihr vom Tresen her mit einem Cocktailglas zu. Ein stämmiger Kerl mit breiten Arbeiterhänden, in feinster Abendgarderobe, eingerahmt von zwei Blondinen in Pelzmänteln. Ein Gesicht, das
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