Unter dem Teebaum
verheerend wie angenommen herausstellen sollte. So schwer es ihr auch fiel, sie musste für Emilias Projekt einen Kredit aufnehmen.
Sechs Wochen später war alles so, wie Emilia sich das gewünscht hatte. Die Arbeiter hatten den alten Stall ausgeräumt, die Wände geweißt und die Balken dunkelbraun gestrichen. Die Pferdetränken waren erhalten geblieben und dienten als Dekoration. Leere Fässer wurden zu Tischen, Bänke mit Kissen belegt und die Wände mit Bumerangs und Geschichten aus der Traumzeit geschmückt. Von den Balken hingen Säckchen mit stark duftenden Gewürzen aus dem Outback. Es war urgemütlich. Zur Küche waren es nur wenige Schritte, und auch der Weinkeller lag in allernächster Nähe. Der ganze Stall verströmte eine Atmosphäre von Tradition und australischer Kultur.
»Du wirst sehen, Mum, bald werden wir mehr Gäste bei uns haben als Lambert«, versicherte Emilia und deutete voller Stolz auf das Schild, das sie über dem Eingang angebracht hatte und auf dem stand: Willkommen in der Outback-Station.
Amber hätte sich gern so aufrichtig und überschäumend gefreut wie Emilia, doch sie hatte Sorgen. Mehr als die Hälfte der Weinstöcke war inzwischen von Schädlingen befallen, gegen die kein Kraut zu wachsen schien. Alle Mittel, die Amber bisher getestet hatte, hatten versagt. Die meisten der neuen Weinstöcke hatten bereits alle Blätter verloren. Die wenigen Blätter aber, die noch nicht braun und kraftlos am Boden lagen, zeigten regelrechte Geschwüre an ihren Blattunterseiten. Und das hieß nur eines: Nicht nur diese Stöcke waren befallen, sondern alle anderen ringsum auch.
Doch auch ohne diese Plage würde die Ernte nicht besonders gut ausfallen. Der Sommer war heiß gewesen, aber so trocken, dass selbst die Bewässerung nicht ausgereicht hatte, die Pflanzen mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen.
Die Trauben hingen winzig klein und schrumpelig an den Stöcken. Mit einem Ertrag von etwa einem Liter Wein pro Weinstock brauchte Amber in diesem Jahr gar nicht erst zu rechnen.
Emilia wusste, was ihre Mutter beschäftigte. Sie legte ihr einen Arm um die Schulter: »Mach dir keine Sorgen, Mum, im Keller lagern noch genügend von den alten Beständen. Bob und du, ihr habt sehr weitsichtig gearbeitet. Es kann nichts passieren.«
Amber strich ihrer Tochter über die Wange. »Danke, Emilia. Ich weiß es selbst. Doch was geschieht, wenn die Ernte im nächsten Jahr noch schlechter ausfällt? In ganz Australien gehen die Geschäfte schlecht. Das wirkt sich natürlich auch auf uns aus. Die Preise für Wein sind gesunken. Nicht nur in Australien.«
»Aber der Tourismus boomt. In Europa ist es jetzt Mode, seine Ferien in Australien zu verbringen. Mit unserer Outback-Station machen wir die Verluste allemal wieder wett.«
Amber wusste, dass Emilia sie trösten wollte, doch vielleicht hatte das Mädchen sogar recht. Sie war zwar nicht dazu zu bewegen, einmal ein Buch in die Hand zu nehmen, doch verfügte sie trotzdem über ein Wissen in wirtschaftlichen Belangen, das Amber immer wieder erstaunte.
Der Tag der Eröffnung der Outback-Station war ein Freitag. Emilia hatte darauf bestanden, überall in Tanunda große Aushänge anzubringen. Sie hatte sogar ihrem Bruder einige Flugblätter nach Adelaide geschickt, mit der Bitte, sie am Busbahnhof aufzuhängen.
Nun stand sie, angetan mit den khakifarbenen Hosen der Weinbauern, einem weißen T-Shirt, auf dessen Vorderseite die Flagge der Aborigines prangte, und einer schwarzen Servierschürze, die bis auf ihre Schuhe reichte, aufgeregt in der Tür und wartete auf Gäste.
Jonah stand in der Station und polierte unnötigerweise die Gläser. Auch er trug ein T-Shirt in den Farben der Ureinwohner.
Sie mussten nicht lange warten. Die Einwohner von Barossa Valley waren viel zu neugierig, um diese Neueröffnung zu verpassen.
Einer der Ersten war Lambert. »Emilia«, rief er über den ganzen Hof. »Eigentlich müsste ich wütend auf dich sein. Erst lernst du bei mir, wie man eine Straußenwirtschaft führt, und dann läufst du davon und machst mir Konkurrenz. Aber der alte Lambert war schon immer ein großherziger Mensch. Deshalb habe ich dir auch ein Geschenk mitgebracht.«
Er winkte mit der Hand, und schon kamen zwei Aborigine-Jungen herbei, die einige Kisten schleppten.
»Da, das ist einer von meinen Weinen. Wenn es den Leuten bei euch nicht schmeckt, lasst sie von meinem Rebensaft kosten.« Er lachte meckernd und zwinkerte Emilia dreist zu, dann suchte er
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