Unter dem Teebaum
fünf. Er musste in spätestens einer halben Stunde da sein.
Beim Abendessen hatte sie die Angestellten und Arbeiter darüber informiert, dass Steve nicht mehr zu Carolina Cellar gehörte. Die Arbeiter hatten die Nachricht relativ unbewegt aufgenommen. Sie hatten ihren Chef noch nie sonderlich gemocht, und sie wussten auch, wie gewalttätig er werden konnte, wenn etwas nicht nach seinem Kopf ging.
»Wer gibt uns ab morgen Anweisungen?«, war alles, was sie wissen wollten.
»Ihr bestimmt einen Vorarbeiter. Wenn ihr euch nicht einigen könnt, werde ich einen bestimmen. Dieser wird ab sofort sagen, was zu tun ist. Einmal in der Woche werde ich mich mit ihm absprechen. Hat jemand etwas gegen diese Lösung?«
Die Männer grinsten. Die Aussicht, in Zukunft bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mehr Freiheiten zu haben, gefiel ihnen. Nur Harry, ein Arbeiter, der meist mürrisch und schweigsam war, fragte: »Bekommt der Vorarbeiter mehr Lohn? Und wie sieht’s mit uns aus?«
Amber schüttelte entschieden den Kopf. »Im Moment ist nichts zu machen, Männer. Dem Gut ist es schon besser gegangen. Die Zeiten sind schlecht. Die Arbeitslosenzahlen sind erschreckend hoch, und jede Woche werden es mehr. Ich bin froh, dass ich euch jeden Monat euern Lohn zahlen kann. Aber ich stehe euch selbstverständlich nicht im Wege, wenn ihr meint, anderswo besser bezahlt zu werden.«
Ihre Worte waren hart, aber sie waren notwendig. Sie durfte sich ihnen gegenüber keine Schwäche erlauben. Sie war jetzt der Boss.
»Noch eins«, fügte sie hinzu. »Peena ist schwanger. Sie sollte nicht mehr schwer heben. Wenn einer von euch sie mit einem Wäschekorb sieht, so gehe ich davon aus, dass der Kavalier in euch noch so lebendig ist, dass ihr wisst, was dann zu tun ist. Auch Aluunda wäre ab und an für einen starken Mann dankbar.«
Amber hatte so energisch gesprochen, dass keiner der Männer eine vorlaute Bemerkung wagte. Schwerfällig erhoben sie sich, grüßten und begaben sich in ihre Unterkunft, einen zweistöckigen Steinbau zwischen Maschinenhalle und Wäldchen mit einem Zimmer für jeden, einem Dusch- und einem Aufenthaltsraum sowie einer kleinen Teeküche. Die Männer hatten keine Familien, nur hin und wieder eine Liebschaft aus Tanunda. Amber verlangte nicht, dass sie auf dem Gut wohnten, doch die Arbeiter wollten das so.
Bob blieb in der Tür stehen und sah Amber an.
»Was ist noch?«, fragte sie.
»Werde heute Nacht in Saleems Sessel unter der Akazie schlafen«, brummte er. »Kann sein, dass Sie mich noch brauchen.«
Damit verschwand er, doch Amber hatte noch Harrys Gesicht gesehen, das merkwürdig schadenfroh und gehässig aussah. Doch sie machte sich darüber keine Gedanken. Sie wusste wenig über Harry.
Das war nun schon neun Stunden her. Amber hatte aus dem Fenster gesehen, als sie zu Bett ging. Bob hatte, in eine Wolldecke gehüllt, wie versprochen in Saleems Sessel gesessen.
Nun lag sie seit Stunden im Bett und starrte an die Decke. Die Gedanken in ihrem Kopf schwirrten wie Bienen im Korb herum. Hatte sie alles richtig gemacht? Nein, sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Steve hatte sie erpresst, zur Heirat gezwungen, betrogen, gelogen und zu guter Letzt noch bestohlen. Und er wäre niemals freiwillig gegangen.
Er hatte angedroht, Jonah zu erzählen, dass sein Großvater der Mörder seines Vaters war. Amber war sich sicher, dass er das auch tun würde. Er hatte noch nie eine Gelegenheit ausgelassen, den Jungen zu verletzen. Amber war entschlossen zu lügen. Nicht um ihres Vaters, sondern um Jonahs willen. Er hatte nie einen Vater gehabt, aber er hatte ein Recht auf einen guten Großvater. Es war sicher sehr wichtig für ihn, dass Walters Bild so blieb, wie es jetzt war. Emilia würde noch ein wenig trauern, aber Amber war sicher, dass sie die Trennung von Steve schon bald verkraften würde. Immerhin war sie schon neunzehn. Es gab nicht wenige Mädchen in Barossa Valley, die in diesem Alter schon eigene Familien gründeten. Sie hoffte nur, dass Steve sich nicht von seiner Tochter lossagen würde, aber sie konnte nicht einschätzen, wie sehr er sie liebte. Im Grunde wusste Amber überhaupt nichts über Steves Gefühle. Konnte er überhaupt lieben? War er dazu fähig? Wusste er, wie sich Liebe anfühlte?
Um sich von diesen Gedanken abzulenken, dachte Amber an das nächste Wochenende. Sie würde Ralph zum Essen einladen. Wie normale Gäste würden sie in der Outback-Station sitzen und sich Emilias Gerichte schmecken lassen. Danach
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